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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Claudia, in Rot.
    Das massive Tor war wie die Türen der Häuser fest
    verschlossen, und von einem der beiden das Tor
    flankierenden Türme rief uns eine Stimme an, erst auf
    Latein, dann auf Gotisch: »Quis accedit? Huarjis
    anaquimith?«
    Sehr zu meinem Erstaunen antwortete Wyrd in beiden
    Sprachen: »Est caecus, quisquis? Ist jus blinda, niu? Wer wird es sein, Paccius, du eingebildeter Schnösel? Bin ich vielleicht deine Mutter, die Hure? Du kennst meine Stimme so gut wie ich deine.«
    Ich hörte den Wachposten leise lachen, dann rief er uns nochmals an: »Ich erkenne dich. Aber einige der sechzig Bogenschützen hier oben auf den Zinnen kennen dich nicht, und sie zielen bereits auf dich. Sag deinen Namen.«
    Wyrd stampfte zornig mit dem Fuß auf und brüllte: »Bei den zwölf Aposteln! Man nennt mich Wyrd, den Waldläufer!«
    »Und dein Gefährte?«
    »Auch so ein Schnösel wie du. Mein Lehrling, Thorn der Nichtsnutz.«
    »Und dessen Gefährte?«
    »Wer?« Wyrd sah sich verdutzt um. »Ach der Vogel. Ein
    römischer Legionär erkennt doch wohl einen Adler? Soll ich nun auch meine Zehen noch einzeln vorstellen?«
    »Warte.«
    Wir mußten nicht lange warten. Bald hörten wir, wie
    knirschend und knarrend Holzbalken zurückgeschoben
    wurden. Dann öffnete sich das schwere Tor langsam einen Spalt, gerade breit genug, um uns durchzulassen. Der
    Posten Paccius, in voller Schlachtrüstung wie die anderen Legionäre, die hinter dem Tor Aufstellung genommen hatten, erwartete uns. Es war das erstemal, daß ich Soldaten und Rüstungen sah.
    »Salve, Waldläufer«, sagte Paccius erfreut und hob die geballte rechte Faust zum römischen Gruß.
    »Salve, Paccius«, brummte Wyrd. Seine Arme waren zu
    schwer beladen, als daß er den Gruß hätte erwidern können.
    »Das hat aber lange gedauert.«
    »Ich mußte eure Ankunft dem Provinzstatthalter melden.
    Er heißt euch willkommen und fordert euch auf, sofort zu ihm zu eilen.«
    »Na! Der parfümierte Calidius wird mich kaum so
    empfangen wollen, wie ich bin. Wahrscheinlich hast du mich schon lange gerochen, bevor du endlich aufgemacht hast.
    Ich gehe zuerst ins Bad. Komm mit, Junge.«
    »Halt«, bellte Paccius, noch bevor wir drei Schritte
    gegangen waren. »Wenn der Legat ›sofort‹ sagt, dann meint er ›sofort‹ .«
    Wyrd funkelte ihn an. »Du kannst mir nichts befehlen. Ich bin ein freier Bürger.«
    »Das Kriegsrecht wurde verhängt, und du weißt genau,
    daß es auch für freie Bürger gilt. Doch wenn du darauf bestehst, bittet Calidius dich auch höflich, zu ihm zu kommen, störrischer Alter. Aber es eilt.«
    »Also gut«, seufzte Wyrd ungeduldig. »Zeigt uns
    wenigstens, wo wir unsere Bündel ablegen können.«
    »Kommt mit«, sagte Paccius und ging voraus. »Fast alle unsere Reserveunterkünfte sind mit Zivilisten belegt.
    Calidius hat alle Bewohner des Umlands und alle Besucher der Stadt hierher geholt. Alle, die keine sichere Unterkunft hatten. Wir spielen sogar Gastgeber für einen reisenden syrischen Sklavenhändler und seine Charismaten. Doch ich finde schon etwas für euch; notfalls werfe ich den Syrer hinaus.«
    »Was soll das alles?« fragte Wyrd. »In der Stadt unten sprach Schankwirt Dylas, den du sicher kennst, von Hunnen, aber ich hielt ihn für verrückt. Ihr erwartet doch nicht im Ernst einen Überfall der Hunnen.«
    »Keinen Überfall, sondern hin und wieder Besuch«, sagte Paccius zögernd. »Und nur von einem einzigen Hunnen. Der Legat hat befohlen, daß niemand außer ihm mit dem
    Besucher spricht und niemand ihm etwas zuleide tut oder versucht, ihm zu seinem Lager zu folgen.«
    Wyrd starrte ihn ungläubig an. »Ist ganz Basilia verrückt geworden? Wie könnt ihr zulassen, daß ein dreckiger Hunne hier ein- und ausgeht, ohne daß er seinen zerlausten Kopf verliert?«
    »Bitte«, sagte Paccius fast schamvoll. »Der Legat wird dir alles erklären. Hier ist euer Quartier.«
    Wir standen vor einem hölzernen Gebäude mit mehreren
    Türen. Als wir eintraten, sahen wir, daß alle Betten bereits belegt waren. Auf einem davon saß ein Mann mit
    schwarzem Bart, brauner Haut und Hakennase in schweren, wollenen Reisekleidern. Auf den anderen saßen Kinder, fünf bis zwölf Jahre alte Knaben, mit Eisenringen um die
    Fußgelenke, die durch eine eiserne Kette verbunden waren.
    Alle waren in Lumpen gekleidet und sahen uns trübselig entgegen.
    »Weg mit dir, du syrisches Schwein!« fuhr Paccius den
    Mann an. »Nimm deine Knaben und stecke sie zu den
    anderen in die

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