Der Greif
Gefahr, und sie so in Sicherheit gewiegt, daß sie auf die Begleitung einer Schutztruppe verzichtete. Du hast feige zugesehen, wie deine Kameraden versuchten, die Hunnen mit bloßen Händen abzuwehrejn,
und wie sie meuchlings ermordet wurden.«
»Ja, Fräuja«, murmelte der Sklave. Obwohl es im Garten kühl war, schwitzte er plötzlich. »Ihr wißt alles.«
»Alles bis auf zwei Dinge«, sagte Wyrd. »Einmal: Warum hast du es getan?«
»Diese gelben Hunde haben mir versprochen, daß sie
mich mitnehmen würden, daß ich als freier Mensch bei ihnen leben könnte. Doch als sie hatten, was sie wollten, lachten sie mich aus und sagten, ich solle verschwinden und froh sein, daß sie mich laufen ließen. Mir blieb nichts anderes übrig, als hierher zurückzukehren und so zu tun, als gehöre ich selbst zu den Opfern.« Er sah den vor Rachegelüsten schäumenden Legaten angstvoll von der Seite an. »Und das bin ich ja auch, oder?«
Wyrd schnaufte nur verächtlich. »Was ich noch wissen
wollte: Wohin haben sie die Frau und den Knaben
gebracht?«
»Ich habe keine Ahnung, Fräuja.«
»Wo ist ihr Lager, ihre Höhle, ihr Versteck? Es kann nicht weit von hier sein, wenn sie schon so lange hier in der Gegend sind. Außerdem mußten sie einen schweren
Tragstuhl schleppen.«
»Ich weiß es wirklich nicht, Fräuja. Wenn die Hunnen mich mitgenommen hätten, wie versprochen, wüßte ich es. So
nicht.«
»Ich versichere dir, du Einfaltspinsel, du wärst nicht weit gekommen. Doch du hast mit den Hunnen verhandelt.
Wurde nie ein bestimmter Ort erwähnt, eine Richtung?«
Der Sklave runzelte die Stirn und schwitzte wieder, als er angestrengt nachdachte, doch schließlich sagte er nur: »Hin und wieder zeigten sie in die Richtung, in der die Hrau Albos liegen, doch mehr weiß ich nicht, ich schwöre es, Fräuja.«
»Ich glaube dir«, seufzte Wyrd. »Die Hunnen sind viel
schlauer und vorsichtiger als du, Einfältiger.«
»Haltet Ihr jetzt Euer Versprechen?« fragte der Sklave kläglich.
Wyrd nickte. Daraufhin wollte der Legat sich brüllend auf den Sklaven werfen und ihn erwürgen. Wyrd hatte damit
gerechnet. Geschickt schwang er sein Messer, stieß es
knapp oberhalb des Lendentuchs in den Unterleib des
Sklaven und riß ihm den Bauch auf, bis die Klinge gegen das Brustbein stieß. Die Augen des Sklaven und seine
Eingeweide traten zur gleichen Zeit heraus, und er fiel ohne einen Laut tot in die Arme der Wachen, die ihn hielten.
Paccius brachte sie und den Leichnam aus dem Garten.
Der Legat sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Beim
Styx, Uiridus, warum hast du das getan?«
»Ich hielt nur mein Versprechen. Ich versprach ihm, ihn aus der Mühle zu befreien.«
»Das hätte ich auch getan, nur hätte ich mir mehr Zeit gelassen. Doch egal, der Kerl hat uns nichts Nützliches erzählt.«
»Nichts«, stimmte Wyrd zu. »Ich warte hier, bis der Hunne eintrifft. Wenn er wieder geht, verfolge ich ihn. Sag ihm, daß du alle seine Forderungen erfüllst, Calidius, dann wird er auf dem kürzesten Weg zu seinen Leuten zurückkehren.«
»Und was willst du dann tun?«
»Bei den Füßen der Furien, woher soll ich das wissen? Ich muß erst darüber nachdenken.«
»Ich gebe dir alles, was du brauchst: Soldaten, Pferde, Waffen...«
»Du kannst mir nicht alles geben, was ich brauche. Nicht einmal der Kaiser könnte das. Ich brauche die Tarnkappe des Alberich und das unfehlbare Glück des Arion. Ich muß wie die Hunnen eine heimliche Entführung vorbereiten. Doch ich kann nicht mit einer hochschwangeren, verletzten Frau durch den Wald fliehen. Zu Fuß oder zu Pferd, ich würde bald eingeholt werden.«
Der Legat überlegte lange und sagte dann: »Was ich jetzt vorschlage, klingt herzlos, Uiridus: Kannst du wenigstens den kleinen Calidius retten?«
»Ja, das wäre sicherlich ein weit realistischeres
Unterfangen und auch erfolgversprechender. Du sagtest, er sei sechs Jahre alt? Dann müßte er mit mir Schritt halten können. Dennoch, es ist keine leichte Aufgabe, einen
kleinen Jungen aus einem Lager zu entführen, das gut
bewacht ist.«
Lange Zeit herrschte Schweigen. Dann sprach ich. Zum
ersten Mal sagte ich etwas unaufgefordert, und ich sagte es leise, weil mir alles andere als wohl dabei zumute war. Ich sagte nur ein einziges Wort: »Austauschen.«
Beide Männer drehten sich um und starrten mich erstaunt an, als ob ich plötzlich zwischen den Fliesen zu ihren Füßen dem Boden entsprossen sei. Ich glaube nicht, daß sie mich
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