Der Greif
auf uns zu und rief:
»Caius Uiridus! Salve, salve!«
»Salve, Clarissimus Galidius«, antwortete Wyrd, und beide ergriffen mit der rechten Hand das rechte Handgelenk des anderen.
»Ich werde Mithras eine Kerze anzünden«, sagte Calidius,
»weil er uns in dieser Zeit schrecklichen Unheils dich alten Krieger schickt.«
»Ich wüßte nicht, womit ich diese Gunst verdient hätte«, sagte Wyrd trocken. »Was ist los, Legat?«
Calidius befahl Paccius zu gehen und sagte dann, ohne
Notiz von mir zu nehmen: »Die Hunnen haben eine Römerin und ihr Kind entführt. Sie halten sie gefangen und verlangen für ihre Herausgabe Unmögliches von mir.«
Wyrd verzog das Gesicht. »Was immer du auch als
Lösegeld bezahlst, du erwartest doch nicht ernstlich, daß die Geiseln wirklich freikommen?«
»Nein, daran glaubte ich nicht im entferntesten - bis ich hörte, daß du vor dem Tor stehst, alter Kamerad.«
»Dein Kamerad ist tatsächlich alt und grau. Ich kam nur hierher, um einige Bärenfelle zu verkaufen und...«
»Warte! Du brauchst dich nicht mit den Händlern von
Basilia herumzuärgern. Ich persönlich werde dir alles
abkaufen, was du bei dir trägst, und zu jedem Preis, den du verlangst. Ich will, daß du diese Hunnen aufstöberst und die Frau und ihr Kind rettest.«
Wyrd schüttelte den Kopf. »Ich töte jetzt nur noch Bären, Calidius, keine Hunnen mehr.«
»Bitte höre mich zuerst an. Die Frau heißt Placidia. Ihr sechsjähriger Sohn, mir zu Ehren Calidius genannt, mußte mit seinem Pony zum Hufschmied. Die beste Schmiede von Basilia liegt weit draußen am Stadtrand, doch der kleine Calidius wollte selbst hinreiten und bei der Arbeit zusehen.
Placidia, die hochschwanger ist, bestand eigensinnig darauf, ihren Sohn zu begleiten. Die beiden machten sich auf den Weg, begleitet von nur vier Haussklaven, die den Tragstuhl trugen, in dem sie saßen, und einem Stallsklaven, der das Pony führte, ohne jeglichen militärischen Schutz. Die
Hunnen müssen vor der Stadt auf genau diese Gelegenheit gewartet haben. Sie überfielen die kleine Kolonne,
erschlugen die Sklaven, die den Stuhl trugen, und
verschwanden mit der Sänfte. Der überlebende Sklave kam mit dem Pony hierher zurück und überbrachte die
schreckliche Nachricht.«
»Natürlich hast du ihn töten lassen.«
»Das wäre zu barmherzig gewesen. Er wird den Rest
seines Lebens in einer Mühle Korn mahlen, die von den
Sklaven lebendige Hölle‹genannt wird. Lebenslänglich
bedeutet bei dieser Arbeit angesichts der erdrückenden Hitze und des erstickenden Staubes allerdings nicht lang.
Zwei Tage später kam ein Hunne mit einer weißen Fahne zu uns, der etwas Latein sprach. Er teilte mir mit, daß Placidia und der kleine Calidius gefangengenommen worden seien
und noch lebten. Sie sollten auch weiterhin leben, versprach er, wenn ich ihn unversehrt zu seinen Leuten zurückkehren lassen und ihm freies Geleit zusichern würde, damit er die Forderungen seiner Kameraden an mich überbringen könne.
Nun, ich gab ihm das Versprechen, und er kehrte zwei Tage später zurück und überbrachte eine Liste mit Forderungen: Verpflegung, Pferde und Sättel, Waffen - ich brauche nicht alles aufzuzählen. Es genügt zu sagen, daß diese
Forderungen für mich unerfüllbar sind. Ich sagte ihm, ich brauche Zeit, um zu entscheiden, ob die Geiseln den
verlangten Preis wert sind, und würde ihm in drei Tagen Antwort geben. Morgen wird der gelbe Hund wieder hier
sein. Du kannst nun sicher verstehen, warum ich so
verzweifelt bin und deine Ankunft mich so freute und
warum...«
»Nein, das verstehe ich nicht«, unterbrach ihn Wyrd.
»Vergib mir, Calidius, wenn ich alte Wunden öffne, doch als dein Sohn Junius damals im Kampf gegen Attilas Hunnen
auf den Katalaunischen Feldern fiel, hast du uns anderen Soldaten befohlen, nicht um ihn zu trauern. Eine Armee, so sagtest du, könne den Tod eines Soldaten verschmerzen.
Dabei war es dein eigener Sohn. Warum nun wegen einer
leichtsinnigen Frau und ihres unglücklichen Kindes...«
»Ich hatte und habe noch einen Sohn, den jüngeren
Bruder des Junius. Er dient hier unter meinem Befehl.«
»Optio Fabius, ich weiß, ein feiner Kerl.«
»Nun, die eigensinnige Placidia ist seine Gemahlin und meine Schwiegertochter. Ihr kleiner Sohn und das Kind, das sie trägt, sind meine einzigen Enkel. Wenn sie überleben...
nein, sie müssen überleben, denn sie sind meine letzten Nachkommen.«
»Jetzt verstehe ich«, murmelte Wyrd und machte
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