Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Tehre ihm bei und war mehr denn je überzeugt, dass auch er von Greifen und Feuer geträumt hatte. »Aber bitte bei Tee!«
Als sie den Speiseraum betraten, erblickten sie den Wirt, der ihnen mit gehetzter Miene und leicht schwitzend entgegenkam. Besorgt wies er sie mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf den besten Tisch hin, der am weitesten von der in der Küche herrschenden Hitze entfernt und dem breiten Ostfenster am nächsten stand. Das blasse Licht des frühen Morgens lag auf diesem Tisch sowie dem Teezubehör und den Brotschnitten darauf – doch ebenso auf dem knochigen Gesicht und den tiefliegenden Augen eines Mannes, der dort saß und offenbar auf sie wartete.
Er stand auf, als sie ihn anstarrten. Der Mann trug eine robuste Reisekleidung aus Leder und ungefärbtem Leinen, viel zu schlicht für einen Kaufmann, aber viel zu gut für einen simplen Hausierer oder Bauern. Er war groß und schlaksig und trug keinerlei Ringe an den Fingern. Wetter und Erfahrung hatten sein Gesicht gezeichnet. Er schien müde, als wäre er die Nacht hindurch geritten und eben erst im Gasthaus eingetroffen. Tehre hatte ihn noch nie gesehen. Sie blickte ihren Bruder und Fürst Bertaud fragend an. Beide Männer wirkten so verwirrt, wie sie sich fühlte.
Dann griff der Fremde unter den Kragen seines schlichten Hemds und holte eine dünne Goldkette hervor, an der eine geschnitzte, purpurrot gefärbte Knochenscheibe hing.
Tehre stand wie erstarrt da und spürte, wie auch Mairin und Sicheir neben ihr unvermittelt still wurden. Fürst Bertaud blickte verwirrt von einem zum anderen. Argwohn trat in seine Augen, und die schickliche nichtssagende Miene des Höflings senkte sich über sein Gesicht. Er holte Luft, sagte aber nichts, sondern wartete darauf, dass Tehre oder Sicheir ihm ein Stichwort gaben, an dem er sich orientieren konnte. Tehre wäre froh gewesen, hätte sie gewusst, welches Stichwort sie ihm geben sollte.
Der Mann ließ das Symbol auf sein Hemd fallen, sodass es offen sichtbar blieb, und trat einen Schritt vor. »Tehre Annachudran Tanschan?«, fragte er sie. Danach wanderte sein Blick zu Bertaud. »Fürst Bertaud, Sohn von Boudan?«
»Ja«, räumte Tehre mit trockenem Mund ein. Fürst Bertaud zog eine Braue hoch und neigte den Kopf. Falls er auch nur ansatzweise nervös war, verdeckte seine Höflingsmaske es so gut, dass Tehre es nicht erkennen konnte.
Der Mann senkte leicht den Kopf und fragte dann Sicheir: »Und Ihr, hochverehrter Herr?«
»Ich ...« Sicheir räusperte sich. »Sicheir Annachudran, mein Herr. Der Bruder dieser Dame.«
»Natürlich«, murmelte der Mann, weder überrascht von Sicheirs Anwesenheit noch anscheinend neugierig, die Gründe dafür in Erfahrung zu bringen. Er wandte sich erneut an Tehre. »Meine Dame Tehre, ich bin Detreir Enteirich. Mein Herr, Brekan Glansent Arobarn, schickt mich, um Euch seinen Wunsch kundzutun, dass Ihr ihn unverzüglich in Breidechboda aufsucht. Seid Ihr dazu bereit?«
Tehre war nie in den Sinn gekommen, der König könnte sich tatsächlich etwas daraus machen, dass sie seine Wünsche ignoriert hatte und lieber nach Norden gefahren war. Es war ein so kleiner Akt der Widersetzlichkeit und sie selbst so unbedeutend, und deshalb schien es ihr unglaublich, dass er ihn überhaupt zur Kenntnis genommen hatte. Stattdessen hatte er es nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern interessierte sich auch genug dafür, um einen seiner persönlichen Agenten hinter ihr herzuschicken ... Sie fragte sich, ob der Agent ihnen entlang der Nebenstraßen in der Umgebung der Hauptstadt gefolgt oder einfach gleich nach Dachseit geritten war ... Angehörige von Tehres Familie stiegen stets in diesem Gasthof ab, wenn sie nach Norden oder Süden reisten. Ihr war gar nicht in den Sinn gekommen, anderswo einzukehren. Und so blieb ihr nur die hilflose Antwort: »Natürlich.«
Detreir Enteirich verneigte sich. Dann richtete er sich auf und wandte sich an Fürst Bertaud. »Mein Fürst«, sagte er ernst, »mein königlicher Herr erkennt an, dass er Euer Erscheinen nicht befehlen kann. Er ersucht jedoch um Eure Anwesenheit an seinem Hof. Er trug mir auf, Euch auszurichten: Da Ihr so liebenswürdig wart, die Dame Tehre nach Norden zu geleiten, hofft er, dass Eure Liebenswürdigkeit Euch nicht erlaubt, sie im Stich zu lassen, wenn sie nach Süden zurückkehrt.«
Fürst Bertaud wurde langsam rot. Er presste die Zähne zusammen, und das nichtssagende Gebaren des Höflings fiel wie die Maske ab, die es war.
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