DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
ein bisschen zu lebhaft waren …
Aber Tan war immerhin hier, und er konnte den Leuten sagen, wer sie war. Maianthe stellte fest, dass sie nicht an seiner Anwesenheit hier zweifelte. Das ermutigte sie. Sie packte die Zügel, schnalzte dem Pferd zu und ritt den gewundenen Torweg hinauf, zwischen den Eichen hindurch, durch den Forst und im schwindenden Tageslicht hinaus in den Garten.
Dieser war nicht so gut gepflegt wie in ihrer Erinnerung. Das Haus war kleiner, und am Fuß des Hügels leuchtete der Fluss durch die Bäume, als hätte das Licht der Abendsonne ihn in Brand gesetzt. Jemand stieß einen Ruf aus, und jemand anders antwortete. Ein Durcheinander aus Bewegung und Stimmen und Gesichtern brach aus. Unvermittelt erschien Maianthe nichts mehr vertraut, und sie versuchte, etwas zu einem älteren Mann zu sagen, der den Zügel ihres Pferds gepackt hatte, wusste dann aber nicht, was sie eigentlich reden sollte. Sie wäre am liebsten abgestiegen, fürchtete sich jedoch davor, obwohl sie nicht wusste, warum sie sich ängstigen sollte … Sie wies sich an, das sein zu lassen … Sie wusste, dass sie töricht war …
Und dann sagte eine vertraute Stimme: »Maianthe!«
Tan stand neben dem Pferd und reichte ihr die Hand, um ihr beim Absteigen zu helfen. Sein Gesicht war das einzige, das sie wiedererkannte. Sie ergriff dankbar seine Hand und glitt vom Pferd, wobei sie das Gefühl hatte, endlich an einem sicheren Ort zu sein – einem Ort, den sie kannte.
Kapitel 9
Am frühen Nachmittag des zweiten Tages, nachdem der König von Farabiand und sein Gefolge die Lage in Augenschein genommen hatten, tauchten die Feuermagier der Greifen erneut auf und erprobten ihre Kraft am Wall.
König Iaor Safiad war allerdings nicht mehr dort, um sich das anzusehen. Nach der ersten eiskalten, kristallklaren Nacht war er mit fast dem gesamten Gefolge wieder aufgebrochen, den schwierigen Bergpfad hinab. Er gedachte, sein Volk zu alarmieren und vorzubereiten – seine Soldaten natürlich, aber vor allem seine Magier: die Erdmagier aus Tihannad und alle aus dem hoch gelegenen Tiearanan. Und er wollte sämtliche Schmiede beider Städte mit der Herstellung von Pfeil- und Speerspitzen beauftragen, die erfüllt waren von der stabilsten, bestmöglichen erdgebundenen Zauberkraft. So hatte er sich ausgedrückt, nachdem er auf den rissig gewordenen Wall hinabgeblickt und den jungen Erdmagier in seinem Gefolge sowie Fürst Bertaud und Anasakuse Sipiike Kairaithin konsultiert hatte. Er fragte nicht Jos nach dessen Meinung, aber Jos hätte ihm auch nicht von seinem Vorhaben abgeraten.
»Er hält vielleicht noch hundert Jahre, vermute ich«, hatte der König gesagt, jedoch nicht mit großer Überzeugung. »Aber er könnte auch morgen schon bersten – und was wird dann aus uns?« Dann setzte er hinzu, ein wenig hoffnungsvoller und an Kairaithin gerichtet: »Seid Ihr sicher, dass Euer Volk Farabiand angreifen möchte, wenn es ihm gelingt, diesen Wall zu durchbrechen? Wir haben es nie verletzt – oder so hätte ich zumindestgedacht. Ich hätte gedacht, wir wären so etwas wie Bundesgenossen …«
Hättest du das gedacht?, fragte Kairaithin ihn. Nun, vielleicht so etwas wie Bundesgenossen, doch nur für jenen kurzen Augenblick außerhalb der Zeit. Feuer kann sich jedoch nicht wirklich mit Erde verbünden, König der Menschen. Dieser Wall wird nicht auf ganzer Länge bersten; er wird hier bersten, an diesem Ende, wo sein Gleichgewicht gestört wurde und wo er hart aufs Gebirge trifft. Wenn das Volk von Feuer und Luft dieses Hindernis überwindet, wird es das hier in diesem wilden Land tun, und so eröffnet sich ihm dann ein Angriff auf Farabiand und nicht einer auf Casmantium.
»Aber …«, hob der König zum Protest an.
»Tastairiane Apailika unterscheidet nicht zwischen den Ländern der Menschen«, warf Fürst Bertaud mit leiser Stimme ein. »Das hat er nie getan. Und er liebt es, zu töten und Blut zu vergießen.«
Tastairiane Apailika möchte letztlich das gesamte Land der Erde verbrennen, erklärte Kairaithin. Er ist entschlossen, nichts auf der Welt übrig zu lassen als Feuer unter einem strahlenden Himmel – die Welt von allem entleert außer einem grausamen Wind, der singend über rotes Gestein fährt.
»Das lassen wir nicht zu«, betonte Fürst Bertaud.
Seine Stimme klang noch immer leise, aber Jos hörte trotzdem seltsame Untertöne von Trauer, Zorn und Warnung heraus. Er hatte Verständnis für den Zorn und glaubte auch die
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