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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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unablässigen Wind, der mal mit mehr, mal mit weniger Gewalttätigkeit über die Höhen pfiff.
    Und auf den langen Tag folgte ein schweigsamer Abend und danach eine totenstille Nacht. Der Morgen, der anschließend heraufdämmerte, war natürlich kalt, so wie jeder Morgen in diesen Bergen. Der Fluss gefror jedoch nicht. Das tat er ohnehin selten, auch nicht in der schlimmsten Kälte der grausamsten Winter: Die ihm eigene wilde Magie sorgte dafür, dass er frei über saubere Steine plätschern konnte, wo jedes vernünftige Wasser sich in schimmerndes Eis und frostigen Nebel verwandelt hätte.
    Jos füllte seine einzige Kanne und machte Tee; er besaß einen kleinen Vorrat von Kräutern für die Zubereitung eines solchen Getränks. Erfreut fand er in Fürst Bertauds Satteltaschen gutes Brot und Hartkäse sowie etwas Trockenfleisch und ein paar runzelige Äpfel vom vergangenen Herbst. Wie es sich traf, besaß Jos zwei Tassen, denn gelegentlich besuchte ihn Kairaithin in Menschengestalt, in der er Tee mochte – oder vielleicht amüsierte es ihn einfach nur, die Routine menschlicher Gastfreundschaft durchzuspielen: Jos war nicht überzeugt, dass er die Motive des Greifen in auch nur einer solch simplen Frage durchschaute. Jetzt gab er zu dem Tee in den beiden Tassen Zucker und ein klein wenig Ziegenmilchbutter und reichte eine davon dampfend an seinen … Gast weiter, wie er vermutete – eine ausreichend flexible Deutung dieses Begriffs vorausgesetzt.
    Bertaud, der das Brot und die übrigen Lebensmittel ausgelegt hatte, nahm die angebotene Tasse mit einem Nicken an, das recht höflich wirkte. Er setzte sich auf den Stuhl, der dem Feuer am nächsten stand, da er nicht so gut wie Jos gegen die Kälte abgehärtet war, die durch die Steinwände der Hütte zu sickernschien. Stühle gab es hier sogar reichlich – insgesamt vier. Sie stellten eine Erinnerung an die Tage dar, als Kes, Opailikiita und Kairaithin gelegentlich zu Besuch gekommen waren. Soweit Jos wusste, hatte Opailikiita nie Menschengestalt angenommen, aber damals hielt er es für das Beste, für den Fall vorbereitet zu sein, wenn sie es einmal tat.
    Stattdessen hatte Kes allmählich ihre Menschengestalt verloren – in jeder Hinsicht außer der am wenigsten wichtigen – und die Besuche in seiner Hütte eingestellt. Jos hatte mehr als einmal überlegt, ob er nicht zwei der Stühle in die Tiefe schleudern sollte, damit sie auf den Felsen dort zersplitterten. Er war sich nicht schlüssig, ob es Hoffnung oder Apathie oder schiere blinde Sturheit war, was ihn bislang davon abhielt.
    »Liegt es allein an Tastairiane Apailika?«, fragte Fürst Bertaud schließlich. Er sah Jos dabei nicht an, sondern starrte ins Feuer. Falls ihm aufgefallen war, dass dieses unaufhörlich ohne Holz oder Kohlen brannte, so sagte er nichts dazu. Vielleicht hatte er es ja nicht bemerkt. Ein Fürst war es schließlich nicht gewöhnt, Kaminfeuer selbst anzufachen und es aufrechtzuerhalten. Und Bertaud schien außerdem sehr in Gedanken versunken. Er fragte erneut: »Geht das auf Tastairiane zurück – diese ganze Entschlossenheit, den Wall zu bezwingen? Würde das Volk von Feuer und Luft ohne ihn das gleiche leidenschaftliche Verlangen empfinden, sich eine Bahn durch die Welt zu brennen?«
    Auch er sprach vom Wall mit dem leichten Stocken und der deutlichen Betonung, die der Große Wall nach Jos’ Empfinden auch verdient hatte. Außerdem fiel Jos auf, dass der Fürst, ohne zu zögern, die Greifen mit dem Namen belegt hatte, den sie selbst benutzten, anscheinend ohne darüber nachzudenken. Erneut dachte Jos an Kairaithins Worte: Ich habe Bertaud, dem Sohn von Boudan, die Nachricht überbracht. Und erneut fragte er sich, welche Beziehung diese beiden verband.
    Er wusste jedoch nicht die Antwort auf die Frage des Fürsten und schüttelte nur den Kopf.
    Fürst Bertaud blickte ihm einen Moment lang ins Gesicht, stand unvermittelt auf und wandte sich ab – die scharfen Bewegungen eines Mannes, der es nicht ertragen konnte, still zu sitzen. Mit rauer Stimme verkündete der Fürst: »Ich kann nicht … Man kann ihnen nicht erlauben, ihren Willen zu haben.« Er trat an das einsame, fest mit Läden verschlossene Fenster der Hütte, öffnete die Läden mit kurzer kraftvoller Handbewegung und ließ das kalte, strahlende Morgenlicht herein. Dann stand er eine Zeit lang völlig reglos da und starrte hinaus. Nach der Blickrichtung zu urteilen, schaute er auf den Wall hinab.
    Das blasse

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