Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
Vom Netzwerk:
dass er gefährlich wirkte. Jos dachte nicht, dass Kairaithin wirklich Angst hatte, denn Angst gehörte nicht zu den Empfindungen, die für Greifen verständlich waren. Kairaithin erweckte jedoch ganz den Anschein, als würde er verlieren, wenn er Tastairiane Apailika jetzt forderte. Und er sah danach aus, als wüsste er das.
    Der Herr von Feuer und Luft ist zu Feuer und Luft geworden, erklärte der weiße Greif. Es klang nicht wirklich triumphierend, aber es drückte Stolz und Kraft aus und noch etwas mehr – ein Gewahrsein der eigenen Kraft und eine Bereitschaft zu befehlen. Dann fuhr er fort: Ich bin zum Herrn von Feuer und Luft geworden. Wird mich irgendjemand herausfordern?
    Alle übrigen Greifen rührten sich, hatten es allerdings nicht wirklich eilig, sich hinter Tastairiane Apailika zu stellen, richteten sich aber nach ihm aus. Sie akzeptierten ihn als ihren Herrscher, erkannte Jos, und er sah, dass sogar Kairaithin die neue Macht und Zuversicht des weißen Greifen spürte – dass er nicht umhin konnte, darauf zu reagieren, obwohl er ihm unabänderlich feindlich gesinnt war.
    Kes sagte mit ihrer sanften, hellen Stimme, die so sehr derStimme aus Jos’ Erinnerungen ähnelte: »Herr von Feuer und Luft! Welchen Wind rufst du für uns herbei, um uns davontragen zu lassen?«
    Tastairiane Apailika drehte sich zu ihr um und antwortete: Durchbrecht den Wall.
    »Ich werde ihn durchbrechen«, erklärte Kes. Sie sah Kairaithin an. Jetzt lachte sie nicht mehr. Sie streckte mit großem Bedacht die Hand aus und legte deren Innenfläche auf das brennende Gestein: eine Geste, die eindeutig eine Herausforderung darstellte – eine Herausforderung, auf die ihr früherer Lehrer, wie sie ganz klar wusste, nicht eingehen konnte.
    Komm, sagte der neue Herr von Feuer und Luft zu Kairaithin. Eine neue Tiefe und Macht lag in seiner Stimme. Tastairiane Apailika war zu seiner vollen Kraft gelangt. Irgendwie war dies geschehen, indem er sich zum neuen König erklärt hatte, oder es lag an der Anerkennung durch die übrigen Greifen. Er befahl Kairaithin erneut: Komm her!
    Kairaithin schien zu schrumpfen, schien dabei zurückzuweichen und sich zu ducken – nicht allzu sehr, nicht einmal so viel, dass eine Bewegung überhaupt sichtbar gewesen wäre. Jos erkannte jedoch sehr deutlich, dass dem Greifenmagier nichts verblieben war, womit er sich dem neuen König der Greifen hätte widersetzen können: weder Kraft noch Stolz, noch gar die Gewissheit, die ihn bis vor Kurzem getragen hatte.
    Dann trat Bertaud mit einem Mut und einer Geistesgegenwart, die Jos verblüffte, an Kairaithins Seite. Dort drehte er sich um, vergrub eine Hand im schwarzen Halsgefieder und betrachtete Tastairiane Apailika mit einem Ausdruck, den Jos nicht im Geringsten deuten konnte.
    Nun, Mensch?, fragte der weiße Greif ihn ungeduldig.
    Bertaud öffnete den Mund, um ihm zu antworten.
    Wie die Antwort des Fürsten aus Farabiand gelautet hätte,konnte Jos nicht mal vermuten, denn Bertaud fand keine Möglichkeit zu reden. Ehe er auch nur ein einziges Wort über die Lippen bekam, hob Kairaithin mit einer entschlossenen Schnelligkeit, die Jos ihm gar nicht mehr zugetraut hätte, sowohl Bertaud als auch Jos auf und trug sie mit sich fort – weg vom Wall und gänzlich hinaus aus der Wüste.
    Die Welt kippte und drehte sich und fiel blitzschnell hinter ihnen zurück, und sie standen unvermittelt auf solidem Stein. Es war ein klarer Morgen hoch in den Bergen oberhalb Tihannads, und der Niambesee breitete sich glitzernd neben der Stadt aus.
    Die Stadt lag still und friedlich unter ihnen, und keine Spur einer drohenden Gefahr zeichnete sich ab. Hier und dort zogen in leuchtende Farben gekleidete Schlittschuhläufer ihre Bahn am Ufer des Sees entlang, wo das Eis nach wie vor stark genug war, um sich ihm anzuvertrauen, während sich in der Mitte des Sees schon kleine Wellen kräuselten. Nebel hob sich vom Wasser in die kalte Luft auf. Über der Stadt stiegen Fäden dunkleren Rauches sachte zum Himmel auf.
    An diesem Ort war es beinahe unmöglich, wirklich an die Wüste oder an Greifen oder an den Wall zu glauben, der für so kurze Zeit das Feuer vom Land der Erde ferngehalten hatte und nun bald zu versagen drohte.
    Kairaithin hatte erneut Menschengestalt angenommen, vielleicht weil er die Gruppe zu einem Ort der Menschen gebracht hatte. Er hielt den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen, als hätte er seine letzte Kraft verbraucht, indem er sie hierherbrachte. Vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher