DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
wieder durch die Wüste klang. Es geschah sehr schnell, aber ein Wirbel von blendendem Sand und Feuer und eine Explosion aus rotem Staub stiegen auf, gefolgt von einem einzelnen heftigen, wilden Schrei der Wut und Pein, worauf unvermittelt Stille einkehrte.
Es war jedoch nicht dieselbe Stille, wie der König sie zuvor durchgesetzt hatte.
Sogar noch nachdem die Greifen zurückgewichen waren, dachte Jos, dass Kairaithin sein Vorhaben verwirklicht hatte. Jos glaubte, dass Kes getötet worden war. Obwohl die Frau, die er von früher kannte, seit Jahren nicht mehr existiert hatte, stieg ihm die Trauer in den Hals und raubte ihm die Luft. Er tat blind einen Schritt nach vorn, wollte wenigstens einen Blick auf ihre Leiche werfen oder zumindest sehen, wie das Feuer und der weiße Sand und die Goldflecken davonsickerten, die sie vielleicht hinterlassen hatte, wenn sie nicht mehr Mensch genug gewesen war, damit eine Leiche von ihr blieb.
Wie zuvor hielt Bertaud ihn auf. Jos traf Anstalten, die Hand des anderen wegzuschlagen, und stockte dann, denn er stellte verblüfft fest, dass Kairaithin sein Ziel erneut verfehlt hatte – wenngleich Jos sich einfach nicht vorstellen konnte, wie das möglich war. Kes war am Leben. Sie stand neben Opailikiita, die Hand im weichen Gefieder am schmalen Hals der Greifin vergraben, und starrte Kairaithin an. Ihre Miene war sehr seltsam.
Jos brauchte viel länger, als hätte sein dürfen, bis ihm klar wurde, dass der Herr von Feuer und Luft von Kairaithins Angriff an Kes’ Stelle getroffen – und an ihrer Stelle getötet worden war. Er begriff das erst, als sich die rote und goldene Greifin, des Königs Gefährtin, tief auf den Wüstensand duckte und einen weiteren Schrei ausstieß: einen Schrei von solcher Verzweiflung, Trauer und Wut, dass Jos erstarrte, sprach- und bewegungslosblieb, wie ein Maus im Gestrüpp der Gräser erstarren mochte, wenn sie den Schrei des herabstoßenden Falken vernahm.
Alle hielten reglos inne, Greifen und Menschen zugleich. Kes streckte eine Hand zu der Stelle aus, wo der König gewesen war. Roter Staub sickerte durch ihre schmalen Finger. Sie schien ergriffen. Neben ihr, beinahe so dicht neben ihr wie Opailikiita, stand Tastairiane Apailika so reglos, als wäre er aus Weißgold gehämmert worden. Seine feurigen blauen Augen loderten, und er hatte die mächtigen Schwingen halb ausgebreitet; sein Gefieder wirkte wie die weiße Glut im Zentrum eines Feuers.
Die rote und goldene Greifin, die des Königs Gefährtin gewesen war – sie hieß Nehaistiane Esterikiu Anahaikuuanse – warf sich unvermittelt in die gleißende Luft, explodierte zu feurigem Wind und rotem Sand und war dann verschwunden.
Eine ganze Weile lang rührte sich niemand.
Endlich drehte Tastairiane Apailika seinen wilden, schönen, weiß gefiederten Kopf und blickte Kairaithin bedächtig an.
All die geringeren Greifen wichen zurück, gingen auf Distanz, als Kairaithin wie auf ein Signal hin einen Schritt von der hoch aufragenden Mauer weg machte und äußerlich ungerührt stehen blieb, auch wenn er für Jos’ geübtes Auge müde und tief traurig und sehr allein wirkte. Das schwarze Gefieder an Hals und Schultern sträubte sich und legte sich wieder. Die mächtigen Schwingen hatte er fast ganz angelegt. Er drehte den Kopf und blickte Kes an … Nein, er schaute zu der Stelle, wo der Herr von Feuer und Luft gestorben war, wo nichts weiter geblieben war als treibender roter Staub und flackernde Flämmchen. Der Greifenmagier sah Kes nicht direkt an. Und er blickte auch den weißen Greifen nicht an, der in ihrer Nähe stand.
Aber Tastairiane Apailika sah ihn an. Der weiße Greif sprach mit glatter, tödlicher Stimme, die wie ein Messer durch das Bewusstsein aller glitt: Kiibaile Esterire Airaikeliu ist dahingegangen, N ehaistiane Esterikiu Anahaikuuanse ist dahingegangen. Wer fordert mich heraus?
Nach der tiefen Stille zu urteilen, die diesen Worten folgte, schien es, als würde niemand dies versuchen.
Der leuchtende weiße Greif betrachtete weiter Kairaithin. Tastairianes Haltung kündete von höchster Eleganz und Zuversicht, wie er da die Schwingen aggressiv vorreckte. Das heiße Sonnenlicht glänzte auf seinem entsetzlichen Schnabel, als funkelte es auf scharfkantigem Metall. Er hob eine Adlerklaue vom Sand an, und die Krallen glommen wie silberne Messer.
Im Gegensatz zu ihm wollte Kairaithin eindeutig nicht kämpfen. Er wirkte nach wie vor gefährlich – nichts konnte verhindern,
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