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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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erstaunlicherweise sogar ein Stück Seife bereitgestellt, sodass sich Maianthe wie ein zivilisierter Mensch das Gesicht waschen konnte. Dann kniete sie sich neben das Feuer, während Tan die Pferde sattelte und die Decken zusammenrollte. Sie hatte nicht mal Schuldgefühle dafür, dass er die ganze Arbeit tat. Er wirkte völlig wach und kraftvoll, als wäre er schon seit Stunden auf den Beinen, und er humpelte kaum. Außerdem bereitete es ohnehin nicht viel Arbeit, dieses Lager aufzuräumen. Also verspeiste Maianthe friedlich das heiße Fleisch und genau die Hälfte der Honigkuchen aus der Reisetasche. Der Honig schmeckte wirklich gut; er war würziger und irgendwie wilder als der Honig, der aus den Wildblumen des Deltas gewonnen wurde.
    »Bis Mittag haben wir den Pass hinter uns und sind in Casmantium«, sagte Tan, während er ihr Pferd heranführte und ihr den Zügel hinhielt. »Sollen wir eine Wette darüber abschließen?«
    Maianthe musste einfach lachen. Sie wettete mit Tan drei zu eins, dass sie das Ende der großen Straße nicht erreichen würden, ehe der Nachmittag halb vorüber war, denn so konnte sie gar nicht verlieren – oder zumindest würde sie lieber verlieren als gewinnen.
    »Geht es deinem Knie besser?« Es fiel ihr noch ein, diese Frage zu stellen.
    »Eine Nacht Schlaf war alles, was ich brauchte. Ich werde gut zurechtkommen, solange ich die Steigbügel lang einstelle«, versicherte er ihr.
    Er klang so aufrichtig, dass sich Maianthe fragte, ob er nicht in Wirklichkeit starke Schmerzen verhehlte. Aber für ihre Begriffe wirkte er ruhig und entspannt und frei von der erkennbaren Anspannung, die Schmerzen mit sich brachten. Also nickte sie letztlich nur und führte ihr Pferd aus der geschützten Nische hinaus auf die lange Serpentine, die nach Osten führte.
    Die Straße war breit genug, um nebeneinander zu reiten, und eine Zeit lang taten sie das auch. Keiner von ihnen sagte jedoch etwas, und nach einer Weile fiel Tan etwas zurück. Es machte ihr nichts aus. Ihr gefiel die Illusion, sie ritte allein zwischen Fels und Himmel, während das Morgenlicht die kalte Luft erfüllte, der Granit in der Sonne glitzerte und der saubere Wind über ihr Gesicht wehte. Maianthe konnte sich einbilden, sie wäre das einzige Lebewesen in hundert Meilen Umkreis – natürlich abgesehen von ihrem Pferd. Das Tier wirkte an diesem hellen Morgen munter und folgte der Führung seiner Reiterin mit langen Schritten, den Kopf erhoben und die Ohren nach vorn geneigt.
    Diese Straße war wirklich prachtvoll, befand Maianthe. Sie genoss den langen kurvenreichen Anstieg um einen Berg herum und die kunstvolle Art und Weise, wie der Pfad zwischen zwei brüchigen Klippen entlanggeführt worden war. Über ihr schimmerte ein erstaunlich dunkelblauer Himmel, und auf den Bergen glitzerten Lichtspiegelungen. Maianthe genoss den scharfen Nervenkitzel, als eine filigrane Brücke zu überqueren war, die einen Abgrund zwischen zwei schmalen Gipfeln überspannte. Der Abgrund musste mindestens vierhundert Fuß lang sein – sie zählte die Schritte des Pferdes, um diese Strecke zu schätzen. Als sie auf der anderen Seite eintraf, drehte sie sich um und blickte auf die zierliche schmale Brückenkonstruktion zurück, wobei sie sich fragte, ob das vielleicht die längste Brücke der Welt war und welche Erschaffermagie verhinderte, dass sie einbrach und in den Abgrund stürzte.
    Die Straße stieg immer höher, und schließlich ging es um eine besonders steile und schwierige Kehre zu Füßen einer dramatischen Felswand, die hoch zum Himmel aufragte. Maianthe begriff sofort, warum die Baumeister diese Kehre so angelegt hatten, ungeachtet der damit verbundenen technischen Schwierigkeiten. Hinter der letzten scharfen Kurve stellten Maianthe und Tan fest, dass sich unerwartet die ganze Welt vor ihnen ausbreitete: ein langer, nach Osten führender Schwung aus Fels und Himmel, der immer tiefer und tiefer führte, schwindelerregend weit bis zu einer Stelle, wo das Grün von Bäumen schimmerte und sich die Stadt Eira ausbreitete. Die hohe Stadtmauer, die breiten Straßen und die Granithäuser waren leicht verschwommen hinter einem Dunstschleier aus Rauch und Ferne erkennbar.
    Maianthe hatte ihr Pferd angehalten, ohne es zu bemerken. Jetzt drehte sie sich zu Tan um und lächelte.
    Er erwiderte ihren Blick, lächelte selbst aber nicht. Vielmehr wirkte er eher blass und ernst. Maianthe war bis zu diesem Augenblick gar nicht klar gewesen, wie nervös Tan die

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