DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
haben wir nicht«, pflichtete ihm Maianthe bei.
Tan blickte sie ruhig an und fuhr fort, nach wie vor in diesem gelassenen Tonfall: »Wir könnten jedoch trotzdem weiterreiten. Wir könnten Eira direkt durchqueren und bis Einbruch der Dunkelheit bereits ein gutes Stück weit auf dem Land hinter der Stadt sein, denkst du nicht?«
»Ja«, sagte Maianthe, obwohl sie gehofft hatte, sich in einem guten Wirtshaus in Eira ausruhen zu können. Sie sprach es nicht aus, sondern versetzte ihr Pferd in einen schwingenden Trab zu den Mauern der Stadt, die sich so dicht vor ihnen erhoben.
Sie konnte jedoch nicht mehr glauben, dass diese Mauern mehr zu bieten hatten als nur die Illusion von Sicherheit.
Maianthe hatte erwartet, Eira wäre eine kleine Bergstadt: zweifelos größer als Minasfurt – trotz der regen Bautätigkeit in Minasfurt und Minasbrunn über die zurückliegenden Jahre hinweg –, aber immer noch viel kleiner als Tiefenau. Gewiss, Eira hatte aus dem Gebirge betrachtet nicht sehr groß gewirkt, aber hier in der Stadt herrschte eine enorme Geschäftigkeit. Eira war viel geschäftiger und viel stärker bevölkert, als Maianthe es erwartet hatte. Sie dachte, dass heute vermutlich Markttag war, denn Bauern mit Karren durchquerten die Tore in Eiras Stadtmauer auf dem Weg nach drinnen und mit leeren Karren nach draußen. Nun, die meisten fuhren nach draußen, denn sie hatten ihre Waren eindeutig früher am Tag in der Stadt verkauft. Auch viele andere Menschen waren auf dem Weg in die Stadt und aus der Stadt. Nicht nur einfache Menschen, sondern auch eine erstaunliche Anzahl nobler Kutschen und Reiter konnte man sehen, die nicht für die praktischen Erfordernisse einer längeren Reise gekleidet waren, sondern in gutes gefärbtes Linnen mit Spitzenmanschetten und kunstvollen Stickereien, mit ausgefallenen Ringen bei den Männern und Armreifen bei den Damen.Maianthe dachte, dass sie eine solch schicke Aufmachung nicht eine Stunde lang auf der Straße hätte tragen können, ohne mit einem Faden irgendwo hängen zu bleiben oder die Spitzen zu zerreißen.
»Denkst du, hier findet irgendein Frühlingsfest statt?«, wollte Maianthe von Tan wissen. »Oder vielleicht feiert der örtliche Fürst die Geburt eines Erben?«
Tans Miene war nachdenklich und skeptisch, aber dieser Ausdruck verschwand, fast ehe Maianthe ihn bemerkte. Er lächelte und zuckte die Achseln und zeigte alle Anzeichen, in guter Laune zu sein. »Vielleicht ein Fest«, pflichtete er ihr bei. »Das ist nützlich für uns. Ich bezweifle sehr, dass irgendjemand einen zweiten Blick für Fremde auf der Durchreise übrig hat.« Er lenkte sein Pferd zum nächsten Stadttor.
Zunächst schien sich Tans Vorhersage zu bewahrheiten. Zwar standen Wachleute am Tor, aber sie schienen unbekümmert wegen der Reisenden zu sein und winkten einfach jeden nach einem kurzen Wortwechsel durch. Maianthe wusste, dass sie bei ihr und Tan das Gleiche tun würden, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass die gerade erst zurückliegenden angstvollen Tage der Verfolgung an ihnen sichtbar waren. Sie hatte das starke Gefühl, dass die Wachen sie aufhalten und wissend fragen würden: Und was genau bringt Euch nach Eira, hm, hochverehrte Dame? Schwierigkeiten folgen Euch dicht auf den Fersen, nicht wahr? Linulariner Agenten, oder? Und wenngleich sie bereit war, all das dem Arobarn zu erläutern, so wollte sie doch ganz gewiss vermeiden, dass provinzielle Wachleute hier in Eira sie für hysterisch oder verrückt hielten.
Sie wünschte sich, Bertaud wäre hier bei ihr; ein Besuch in Casmantium wäre in Begleitung ihres Vetters kein bisschen beängstigend gewesen. Selbst wenn er Nachricht von Unruhe und Unordnung in Farabiand überbrachte, so hätten ihn hier dochalle respektiert und alles geglaubt, was er sagte. Maianthe war so erpicht darauf gewesen, endlich Eira zu erreichen, aber jetzt warf sie Tan, der neben ihr ritt, besorgte Seitenblicke zu. Er verriet nicht die mindeste Sorge über die Wachsoldaten. Maianthe glaubte keinen Augenblick lang an diese zuversichtliche Miene. Sie wünschte sich aber, dass sie dazu in der Lage wäre.
Sie konnten jedoch wohl kaum zurück über den Pass reiten.
Die Wachleute fragten sie ohne großes Interesse, was sie nach Eira führte. Mit einer Diskretion, die Maianthe von ganzem Herzen begrüßte, verzichtete Tan im Großen und Ganzen auf Einzelheiten. Er gab sich als Teras aus, Sohn von Toharas, und nannte Maianthes Namen gar nicht; er sagte nur, dass
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