DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
über die andere, dass er gedacht hätte, er würde diesen Vorgang mühelos beherrschen. Heute schienen jedoch sämtliche Masken ganz außer Reichweite. In scharfem Ton verlangte er vom Magier zu wissen: »Was ist es, das Ihr in mir erkennt? Was meintet Ihr damit, Ereignisse würden sich um mich beugen?«
»Eine sehr gute Frage«, lobte der casmantische Magier in liebenswürdigem Tonfall. Er musterte Tan einen Moment lang mit ausgeprägter Neugier, zuckte dann leicht zusammen und wandte den Blick ab. Dann schaute er auf das Kaminfeuer, während er erklärte: »Man erkennt gut, warum es Magiern nicht schwerfällt, Euch aufzuspüren. Es ist ein sehr bemerkenswerter Effekt, wenn man ihn gründlich zu prüfen versucht.«
»Ich wünschte, ich …«, hob der hohe Herr Beguchren an, führte den Gedanken jedoch nicht zu Ende.
»Wie wir alle«, sagte Gerent Ensiken in einem Tonfall, der ironisch und absichtlich forsch zugleich klang.
Maianthe starrte erst ihn und dann den eleganten Herrn Beguchren an. Sie öffnete den Mund, um zu sprechen, überdachte dann offensichtlich die zunächst geplanten Worte und sagte statt ihrer: »Was immer Tan ist – ich kann bestimmt keine Magierin sein. Ist es nicht so? Ich erkenne nichts Merkwürdiges, wenn ich ihn anblicke. Und mein Vetter sagte mir, ich könnte keine Magierin sein, weil ich seinen Freund nicht hasste. Ich meine Kairaithin. Den Greifenmagier.«
Fürst Beguchren sah sie nachdenklich an. »Wenn ich mich richtig an Eure Geschichte erinnere, dann habt Ihr nach der notwendig gewordenen Flucht aus Tiefenau direkt das Haus Eures Vaters in Kames aufgesucht, wohin Ihr auch den ehrenwerten Tan geschickt hattet. Warum habt Ihr dieses Ziel ausgewählt, statt nach Norden zu gehen und Euren fürstlichen Vetter zu finden?«
»Nun, ich … Ich weiß nicht …« Maianthe runzelte die Stirn. Sie breitete die Hände zu einer Geste der Ratlosigkeit aus. »Ich weiß … Ich weiß im Grunde nicht warum. Nur …« Sie schüttelte den Kopf und sah Tan an, wobei sie verwirrt die Stirn runzelte.
»Ihr habt aus einer Eingebung heraus den hochverehrten Tan in Linularinum gefunden, nachdem Istierinan Hamoddian ihn entführt hatte. Ihr habt ihn mühelos gefunden. Danach zog Euch die Eingebung auf seiner Spur nach Kames. Gerent? Glaubst du auch nicht, dass die Dame eine Magierin ist?«
Der große Mann beugte sich vor und drehte sich so, dass er Maianthe forschend ins Gesicht blicken konnte, ohne gleichzeitig Tan anzusehen. In höflicher Neugier legte er den Kopf schief. »Vielleicht verfügt Ihr über eine sehr schwache Magiergabe, Herrin Maianthe. Das könnte erklären, warum Ihr Euch zum hochverehrten Tan hingezogen fühltet, ohne richtig zu begreifen, was Euch anzog, und ebenso, warum Ihr die Gegenwart eines Greifenmagiers ohne negative Empfindungen ertragen konntet.«
Maianthe nickte unsicher.
Tan war in diesem Punkt keineswegs unsicher und warf in scharfem Ton ein: »Über welche Gabe oder Macht die Dame auch immer verfügt, ich kann Euch versichern, dass sie wohl kaum schwach ist.«
»So beharrt die Welt darauf, unsere Erwartungen zu enttäuschen«, murmelte Fürst Beguchren. Er legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete Maianthe und Tan über sie hinweg. »Die Dame verfügt über eine mächtige Gabe, jedoch über nichts, was ein Magier erkennen könnte. Und obwohl Eure Anwesenheit, hochverehrter Tan, die Welt verformt, sagt man uns, dass Ihr nicht selbst ein Magier seid.« Er hielt inne, und seine Miene wurde noch ausdrucksloser und undeutbarer. »Magier schenken den normalen Gaben in der Regel kaum Aufmerksamkeit. Womöglich war das ein Fehler.«
»Und was jetzt?«, wollte Tan von ihm wissen.
»Auch ich habe der Gabe der Rechtskundigen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt«, flüsterte der elegante Fürst. »Eine beklagenswerte Unterlassung.« Er machte eine Pause und fuhr dann direkt an Tan gerichtet fort: »Wenngleich die Gabe der Dame Interesse weckt, ist es Eure, um die wir uns sofort kümmern müssen. Eure derzeitige Verfassung ist eindeutig nicht durch irgendeine tatsächliche Anwendung der Magiergabe herbeigeführt worden, sondern durch den machtvollen Einfluss des Rechtskundigenwerks, das Ihr in Euch aufgenommen habt. Die Ereignisse leiten uns nun zu der Schlussfolgerung, dass sehr einflussreiche Kräfte in Linularinum so bestürzt darüber sind, dieses Werk verloren zu haben, dass sie bereit sind, Iaor Safiad zu einem Krieg zu provozieren, nur um es
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