DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
dafür verantwortlich, was das seltsame und machtvolle Werk eines Rechtskundigen womöglich anrichtet? Oder nicht zu erreichen vermag? Der Rechtskundige, der es mit Feder und Tinte und seiner Meisterschaft über die Sprache geschaffen hat? Der Magier, der es vor dem Blick gewöhnlicher Menschen verborgen hat? Die Könige, die es von einem Zeitalter bis ins nächste aufbewahrt haben?«
»Es ist zu gefährlich, um in die Welt zu gelangen!«, schrie der Linulariner Gefangene. Er versuchte auf die Beine zu kommen, aber die Soldaten griffen eilig nach seinen Schultern und hinderten ihn daran.
»Natürlich ist es das«, murmelte Beguchren, fing erneut den Blick des Mannes auf und bannte ihn. »Was ist es, Mann? Was ist dieses Ding, das zu gefährlich ist, als dass es irgendjemand außer einem Linulariner in der Hand halten darf?«
Der Gefangene starrte den kleinen, eleganten casmantischen Fürsten ganz so an, wie es, dem Vernehmen nach, ein Vogelbei einer Schlange tat. Mit raschen, scharfen Worten antwortete er: »Begreift Ihr nicht? Noch nicht mal jetzt? Es war ein Werk gegen … für … Es war ein Werk der Naturgesetze. Erkennt Ihr nicht die furchtbare Verformung der Welt rings um diesen Dieb, wo die Welt bestrebt ist, die richtigen Gesetzesbindungen zu finden? Begreift Ihr nicht, in welch extremer Gefahr wir schweben, da jetzt die Stränge der Naturgesetze zu reißen drohen?«
»Die richtigen Gesetzesbindungen«, murmelte Fürst Beguchren.
Der Gefangene setzte sich auf die Fersen und starrte Beguchren wütend an, die gefesselten Hände eindringlich zu einer Bittgeste erhoben. »Ihr müsst es verstehen! Vor tausend Jahren begründeten wir das Zeitalter, indem wir die Gesetze von Erde und Feuer verankerten und die ungebundene wilde Magie der Berge und Wälder verdrängten. Und dann hat dieser Narr …« Er warf einen wütenden Blick auf Tan, der nur vage aufmerksam wirkte. »Dieser Narr«, wiederholte der Linulariner Gefangene, »hat innerhalb eines Tages die Hälfte unserer Bindungen gelöst. Der Rest wird nun allmählich ebenfalls versagen. Und Ihr gewährt ihm Zuflucht? Vor uns? Übergebt ihn mir – in unser aller Interesse. Ermöglicht uns, die Bindungen neu herzustellen, falls irgendein Rechtskundiger heute noch die nötige Macht hierfür aufbringt. Oder möchtet Ihr, dass sich die Ordnung der Welt auflöst und dem Wilden weicht?«
»Die Ordnung der Welt«, wiederholte Fürst Beguchren. Er sprach noch immer leise, aber sein Tonfall klang inzwischen beißend, kalt wie die grauen Bergeshöhen, und in den sturmgrauen Augen stand der Zorn. Er trat einen Schritt vor. »Die Gesetze von Erde und Feuer, sagt Ihr? Gerent hat mir eine bestimmte seltsame Qualität geschildert, die er seit Kurzem hinter der Zauberei schwingen spürt, welche er zu wirken versucht. Wir dachten, diese fremdartige Qualität resultiere aus den Rissen in Tehres Wall. Jetzt frage ich mich, ob sowohl das Bersten des Walls als auch diese Störung der Zauberkraft vielleicht auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen.« Er hielt inne, und als er dann fortfuhr, sprach er noch leiser. »Ich frage mich, warum Linularinum so unbekümmert scheint ob der Gefahr, die von den Greifen für alle unsere Länder ausgeht? Jedenfalls scheint Mariddeier Kohorrian vorbehaltlos geneigt, Iaor Safiad abzulenken und zu schwächen, und das zu einer Zeit, in der man erwarten würde, dass er die Notwendigkeit erkennt, Farabiand gegen das Greifenfeuer zu unterstützen.«
Der Linulariner Agent schwieg dazu.
»Tatsächlich …«, fuhr Fürst Beguchren fort, »tatsächlich stellt man sich beinahe die Frage, warum denn Casmantium die fortwährende Bedrohung durch das Feuer ertragen musste, warum denn Farabiands Grenze zur Wüste gelegentlich durchbrochen wurde und auch jetzt wieder bedroht wird, während Linularinum niemals auch nur ein einziges, vom Wind herangetragenes rotes Sandkorn gesehen hat. Das Feuer hält auf sichere Distanz zu Linularinum. Das tut es von jeher. Ich frage mich, woran das liegt? Wie eigentlich haben die Rechtskundigen von Linularinum ihr bindendes Gesetz abgefasst – dieses Gesetz, das ihre schlauen Könige seit Anbeginn des Zeitalters ihr Eigen nennen und vor uns anderen verborgen haben?«
»Nur wir …«, hob der Gefangene an und stockte.
Der Arobarn, der die Armlehnen seines Granitstuhls immer fester gepackt hatte, bis die Knöchel weiß hervortraten, stand jetzt endlich auf. Er schien gewaltig wie die Berge aufzuragen. Der Ausdruck
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