DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
in ein viel kleineres und weniger förmlich wirkendes Gemach mit dicken Teppichen auf dem Boden und Kissen auf den Stühlen. Er deutete unzeremoniell auf die Stühle und wandte sich mit nur einem kurzen Wort an Fürst Beguchren, sobald sich alle gesetzt hatten. »Nun?«
Der kleine Fürst zögerte. Dann breitete er die zierlichen Hände aus und antwortete: »Nach allem, was diese … Person … geschildert hat, vermute ich, dass man die natürliche Ordnung der Welt in einem Maße ändern könnte, das ich bislang für unmöglich gehalten habe. Ich vermute, dass der ehrenwerte Tan fähig wäre, eine solche Veränderung zu bewirken.«
Tan entgegnete scharf: »Ein angenehmer Gedanke, ganz gewiss.« Er rieb sich das Knie, eine zerstreute, unachtsame Geste, die überhaupt nicht zu ihm passte.
Maianthe konnte sich inzwischen denken, wie sehr ihn alles beunruhigte, was geschehen war. Sie stand von dem Stuhl auf, auf den sie sich gerade gesetzt hatte, ging zu ihm hinüber und lehnte sich an die Rückseite seines Stuhls. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. Die Muskeln dort fühlten sich steinhart an. Er blickte zu ihr auf und brachte ein kurzes Nicken zustande.
»Falls Tehres Wall birst, dann scheint ein Versuch, die Ordnung der Natur zu ändern und neu zu binden, auf einmal sehr weise zu sein, ungeachtet der Zweifel, die irgendjemand von uns bei dieser Aussicht empfindet«, führte Fürst Beguchren mit sanfter Stimme aus. »Es erscheint inzwischen nicht mehr gänzlich unmöglich, dass der hochverehrte Tan in der Lage ist, ein gewisses Element der natürlichen Ordnung ›umzuschreiben‹ – man möge mir diesen Ausdruck vergeben. Ein kleines Element, ein trivialer Aspekt, der die Welt nicht in nennenswertem Maße aus dem Gleichgewicht brächte … Ich frage mich zum Beispiel, ob er fähig sein könnte, das Feuer mithilfe dieses Buches und des Werkes der Erde gründlicher untertan zu machen.«
Eine Pause trat ein. Tan sah weder den casmantischen Fürsten an noch den Arobarn. Er schaute nur auf Maianthe. Sie glaubte, dass er etwas von ihr brauchte, aber sie hatte keine Idee, was sie seiner Meinung nach sagen sollte, und konnte lediglich seinen Blick erwidern.
An der Tür hustete jemand dezent, und ein Wachmann sagte in einem Tonfall, der um Verzeihung ersuchte: »Königlicher Herr, vergebt mir. Wir haben eine weitere Botschaft über den Bergpass erhalten. Eine Kurierin – eine königliche Kurierin aus Farabiand.«
Der Arobarn blickte finster, lachte dabei aber. Er winkte ungeduldig. »Natürlich empfange ich die Kurierin. Unverzüglich.« Seine Augen schweiften mit einem gehetzten Ausdruck durch den Raum; er fuhr sich mit einer breiten Hand durch die kurzen Haare und wies dann Maianthe sowie die anderen Anwesenden an: »Natürlich müsst Ihr bleiben. Ihr müsst alle bleiben.«
Die Kurierin war eine junge Frau, nicht älter als Maianthe. Sie wirkte ebenso müde, wie sich Maianthe fühlte, und doppelt so mitgenommen von der Reise. Zunächst warf sie einen Blick auf die übrigen Anwesenden, war aber eindeutig zu müde, um neugierig zu sein, und wandte sich sofort an den Arobarn. Sie verneigte sich und streckte den weißen Kurierstab aus.
»Gut«, sagte der Arobarn. »Ich werde Euch gewiss zuhören. Welche Nachricht sendet mir Iaor Safiad?«
»Königlicher Herr …«, begann die Kurierin mit matter Stimme. Dann holte sie Luft und fuhr in kräftigerem Ton fort: »Seine Majestät Iaor Safiad hat mich beauftragt, Euch folgende Botschaft zu überbringen: Er glaubt, dass der Wall nicht halten wird, dass er auf keinen Fall halten kann. Und da heute der fünfte Tag ist, seit die Warnung erging, sind wir jetzt in einer Zeitphase größter Gefahr. Er heißt mich, Euch das mitzuteilen: Die Greifen haben einen neuen König, der zornig und unbeherrscht ist. Dieser neue König verachtet Menschen und verabscheut das ganze Land der Erde. Seine Majestät sagt, dass der König der Greifen sich wahrscheinlich nicht mit Farabiand begnügen wird. Er empfiehlt Euch, nach Osten ebenso Ausschau zu halten wie nach Norden und die Bergpässe zu bewachen.« Die Frau hielt inne, schluckte und setzte in mattem Ton hinzu: »Das ist alles. Soll ich eine Antwort überbringen?«
»Hochverehrte Kurierin, ich muss darüber nachdenken«, erwiderte der Arobarn. »Falls ich eine Antwort habe, teile ich sie Euch morgen früh mit. Geht. Ruht Euch aus. Mein Haushalt wird dafür sorgen, dass Ihr es behaglich habt.«
Die Kurierin verneigte sich
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