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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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wurde. Aber falls Kes davon wüsste … Falls sie es wüsste … Was dieses besondere Geheimnis anbelangte, war es am besten, wenn noch eine weitere Person davon erfuhr – wenn Kes davon erfuhr. Kairaithin konnte nicht in ihre Nähe gelangen, nein. Ihr Iskarianere Tastairiane Apailika, Herr von Feuer und Luft, würde darauf achten, dass ihr kein Feind zu nahe kam.
    Nicht mal der Herr von Feuer und Luft vermochte jedoch eine Feuermagierin daran zu hindern, dass sie ging, wohin sie wollte: nein, nicht einmal, wenn es dem mächtigen weißen Greifen einfallen würde, Kes einzusperren. Wahrscheinlich kam ihm ein solcher Gedanke aber erst gar nicht, denn Greifen nahmen gegenseitige Einschränkungen nicht leicht an und setzten sie auch nicht gerne durch. Kairaithin drang vielleicht nicht zu Kes durch. Aber auch wenn sie sich vielleicht vor Kairaithin hütenmochte, würde sie Jos nicht fürchten. Wenn sie das wünschte, würde sie ihn aufsuchen. Und dann konnte er ihr dieses gefährliche Geheimnis offenbaren. Er hatte Stillschweigen versprochen – aber nach dem zu urteilen, was Bertaud ihm vorhin gesagt hatte, würde der Fürst ihm eindeutig freistellen, es Kes zu verraten, wenn er dazu Gelegenheit fand.
    Wahrscheinlich kam Kes gar nicht. Wenn sie es jedoch tat, konnte er ihr erklären, was das Volk, dem sie sich angeschlossen hatte, diesseits des Passes erwartete. Dann würde sie zumindest begreifen, warum das Volk von Feuer und Luft Farabiand nicht angreifen durfte … Nein, am besten keinen einzigen Winkel des Landes der Erde. Dann würde sie sich weigern, Tastairianes Befehl auszuführen und den Wall zu durchbrechen, und der kommende Sturm konnte noch aufgehalten werden.
    Jos drehte sich auf den Fersen um. Er ging nun nicht zum Zimmer zurück, sondern zur Treppenflucht. Aus den geschäftigen Bereichen des Hauses stieg er hinauf in die oberen Korridore, wo sich nur Dienstboten bewegten, und noch weiter hinauf, die letzte Treppenflucht zu der schrägen Tür, die aufs Dach führte. Es war kein sehr hohes Dach, denn die Könige Farabiands machten sich nichts aus so gewaltigen und kunstvollen Palästen, wie sie die Könige Casmantiums errichteten. Nichtsdestoweniger lag es über der Stadt und direkt an der freien Luft; es stellte somit einen Ort dar, den eine Kreatur wie Kes vielleicht aufsuchen würde.
    Die Abenddämmerung war gerade angebrochen: ein günstiger Zeitpunkt, denn Feuermagier durchquerten Wind und Licht am leichtesten, wenn es dunkel wurde. Sogar Kairaithin kam und ging am liebsten zur Abenddämmerung, besonders wenn er sich hinaus ins fremde Land der Erde begab. Jos wusste nicht, ob Kes sich überhaupt aus dem Land des Feuers direkt über die wilden Berge in das Land der Erde versetzen konnte . Besondersangesichts des Walls, der eine Barriere auf ihrem Weg hierher darstellte. Und er war sich nicht sicher, dass sie überhaupt kommen würde, selbst wenn sie ihn hörte, und nicht einmal damit konnte er rechnen.
    Er rief jedoch nach ihr. Er rief sie bei dem Namen, den sie als Mensch getragen hatte, und danach bei dem schönen, komplizierten Namen, den sie jetzt trug: Kereskiita Keskainiane Raikaisipiike. Er starrte zu den ersten Sternen hinauf, die kalt und fern am leuchtenden Himmel funkelten, und ließ sich die langen, eleganten Worte über die Zunge gehen, als rezitierte er ein Gedicht.
    Und Kes kam. Wie ein weißer Stern, der zur Erde herabfiel, wie ein von Himmel gerufener Blitz, wie das Aufleuchten von Feuer in der Dunkelheit. Der Wind sprang von Norden nach Osten um und frischte auf, trug auf einmal den Geruch von heißem Sand und geschmolzener Luft mit sich, und Kes formte sich aus diesem Wind und trat über das Schindeldach vor. Sie bewegte sich, als berührte sie das Dach kaum – als könnte sie geradewegs zum Himmel hinaufwandern, wenn sie nicht mehr darauf geachtet hätte, wohin sie die Füße setzte. Ihr sich in der Dämmerung matt abzeichnender Schatten glomm wie die letzten Reste des Sonnenuntergangs. Ihre auf Jos gerichteten Augen waren von Feuer erfüllt.
    Jos stand reglos da und sah ihr entgegen. Sein Herz hatte einen Sprung gemacht, sobald ihm bewusst wurde, dass sie seinem Ruf tatsächlich folgte, und fühlte sich jetzt gepresst und schmerzlich ruhig an. Er spürte jedoch den Pulsschlag im Hals. Kes kam näher – schenkte ihm ihr wildes, schönes Lächeln, blickte ihn aus Augen an, die von Leben und Feuer loderten –, und er vergaß in diesem ersten Augenblick, warum er sie gerufen

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