DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
irgendetwas sagen … Erzähl ihm, du würdest dich an deine Schwester erinnern. Erinnerst du dich an deine Schwester, Kes? Ich bin sicher, dass sie dich nicht vergessen hat. Es ist diesmal das Gleiche wie vor sechs Jahren! Alle Macht liegt in deiner Hand. Sag Tastairiane, du würdest ihn nicht unterstützen und dass wir vorbereitet wären; wenn die Greifen morgen den Pass überqueren würden, ständen sie zehntausend Pfeilen und tausend Speeren gegenüber, und du wärst nicht zur Stelle, um seine Greifen zu heilen, wenn sie getroffen würden …«
Kes schüttelte den Kopf. »Er wird nicht einlenken. Jetzt nicht mehr, da der Wall durchbrochen ist. Er wird niemals einlenken. Und selbst wenn ich ihm das Geheimnis verrate, wird er es nicht glauben; er wird denken, du hättest mich angelogen. Oder falls er es doch glaubt, wird er so wütend sein … Es ist Bertaud, sagst du? Fürst Bertaud, Sohn von Boudan, der diese Affinität für das Feuer hat?«
»Ja«, bestätigte Jos, und in dem Augenblick, als er das sagte, wurde ihm – zu spät! – klar, dass er ihr Bertauds Namen niemals hätte verraten dürfen. Sie zerfaserte zu einem flammenden weißen Wind, und Jos starrte entsetzt für einen viel zu langen Augenblick dorthin, ehe er zur Treppe stürmte.
Bertaud war immer noch im Kartenzimmer, als Jos dort hineinrannte – und noch am Leben, was Jos nicht erwartet hatte. Kes musste einen Augenblick gebraucht haben, Bertaud zu finden … Nun, sie kannte den Fürsten aus Farabiand nicht gut, und Bertaud war nicht Narr genug gewesen, ihren Namen in die Winde zu rufen.
Dann war sie jedoch trotzdem vor Jos bei Bertaud. Sie trat vor, als Jos gerade die Tür aufstieß und schwer atmend hineinstürmte. Kes hatte die Hand zu einer fast freundlich wirkenden Geste ausgestreckt, und Bertaud zeigte sich nicht beunruhigt – oder nicht beunruhigt genug. Er stand einfach nur da, wich nicht einmal zurück, geschweige denn, dass er zur Tür gelaufen wäre … Nicht, dass ihm eine solche Aktion geholfen hätte; die Luft kribbelte förmlich von lebendigem Feuer. Noch ein Augenblick, und das ganze Haus ginge in Flammen auf, die Landkarten und das Mobiliar und selbst die Kernkonstruktion. Und Fürst Bertaud würde brennen wie ein Talglicht im Zentrum einer Feuersbrunst.
Jos bekam nicht genug Luft, um eine Warnung zu rufen, aber Bertaud bemerkte seine eilige Ankunft und schien dann zum ersten Mal das weiße Feuer zu sehen, das auf Kes’ ausgestreckter Hand tanzte. Er packte die Kante des Kartentisches und warf ihn um, damit Kes der Weg versperrt wurde: Das war schlimmer als nutzlos, denn all das Papier fing Feuer, als es sich auf dem Fußboden verstreute. Kes stellte einen Fuß auf den umgekippten Tisch und stieg einfach über ihn hinweg, so leichtfüßig, dass der Tisch dabei nicht einmal wackelte. Flammen leckten jedoch über das Holz hinweg – weiße Flammen mit blassgoldenen Kanten, und sie brannten mit einer gewaltigen Hitze, welche die Luft selbst zu entzünden drohte. Bertaud wollte einen Schrei ausstoßen, musste aber würgend vor der brennenden Luft zurückweichen und hielt beide Arme schützend vor dem Gesicht.
Am Rand des Zimmers, wo Jos stand, war es nicht so unerträglich heiß, und so holte er kurz und energisch Luft und rief: »Kairaithin! Anasakuse Sipiike Kairaithin!« Seine Stimme klang rau und halb erstickt vor Hitze und Grauen; sie verklang flach und dumpf in der strahlenden Luft. Er sprang über den brennenden Tisch und packte Kes’ erhobene Hand, um das Mädchen zurückzuzerren und umzudrehen. Er blickte ihr ins Gesicht und erkannte in diesen goldenen Augen nichts mehr wieder. Das Feuer in ihr verbrannte ihm Hand und Arm, aber zu seiner Verblüffung schloss sie es nach diesem ersten Augenblick in sich ein, damit ihn die eigene Kühnheit nicht sofort das Leben kostete.
Dann kam Kairaithin. Die östlich gelegene Mauer des Raums ging in helllodernden Flammen auf, und Kairaithin trat aus dieser Feuerwand hervor, als durchquerte er einfach eine Tür. Mit einem schnellen, alles aufnehmenden Blick erfasste er die Lage.
Einen furchtbaren Augenblick lang dachte Jos, der Greifenmagier würde seine entsetzliche Macht einfach Kes zur Verfügung stellen und durch das ganze Haus hindurch der Luft Feuer entreißen. Dann begegnete sein zorniger schwarzer Blick dem von Bertaud, und obwohl der Fürst hustete und nicht sprechen konnte, senkten sich alle Flammen sogleich zum Boden hin, wobei sie wie verrückt flackerten,
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