DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
und erloschen wie Kerzenflammen, die von oben ausgeblasen wurden.
»Kairaithin …«, sagte Kes. In ihrem Ton schwang heftige Zurechtweisung mit. Sie streckte die freie Hand zu ihrem alten Lehrer aus.
»Kairaithin!«, sagte auch Bertaud. Er sprach jedoch in einem ganz anderen Tonfall, wenn auch nicht weniger heftig, während er versuchte, inmitten der Hustenanfälle Luft zu bekommen.
»Nein!«, schrie Jos. Er wusste, dass der Fürst aus Farabiand dem Greifenmagier befehlen wollte, Kes zu töten: Er wusste sogar, dass er selbst damit einverstanden sein sollte, wusste diesnur allzu gut, brachte es aber einfach nicht über sich – nicht mal jetzt. Er hatte Kes nicht losgelassen, und er riss sie zurück, um sich zwischen sie und Kairaithin zu bringen. Wütend schrie er den Greifenmagier an: »Bringt sie von hier fort, so weit weg, wie Ihr nur könnt, und sorgt dafür, dass sie sich fernhält! Seht Ihr nicht, dass es reichen wird – dass selbst dieser Bastard Tastairiane nicht den Pass überqueren wird, wenn sie nicht dabei ist …« Ihm ging die Luft aus, und er musste hilflos husten. Seine Brust brannte, und heftige Schmerzen strahlten von der Hand bis in die Schulter aus; und er wusste … Er wusste, dass er nicht genug gesagt hatte, es nicht richtig ausgedrückt hatte. Er war noch nie jemand gewesen, dem die richtigen Worte leicht über die Lippen gingen …
Dann rief Kairaithin mit einer Miene, die Jos undurchschaubar blieb, einen heftigen Wind auf, der durch all die Mauern des Hauses hindurch blies: einen Wind, der durchsetzt war von wilder Dunkelheit und treibendem Sand und Flammen. Und dieser Wind wirbelte rings um sie herum und trug sie nach oben, und die Welt kippte unter ihnen weg. Fürst Bertaud blieb allein im Kartenzimmer und im Haus des Königs zurück, während der Greifenmagier sich und Kes und Jos mit diesem Wind davontrug.
Kapitel 15
Maianthe kehrte nur eine Handvoll Tage, nachdem sie aufgebrochen war, nach Tiefenau zurück. Es kam ihr wie Jahre vor. Seit dem Augenblick, an dem sie das Delta erreicht hatten, war unaufhörlich Regen gefallen; doch jetzt hörte er endlich auf, während sie durch das letzte Stück offene Landschaft zur Stadt eilten. Maianthe klappte die Kapuze zurück, machte den Rücken gerade und blickte auf, als sich das erste Sonnenlicht des Tages durch die dichte Bewölkung kämpfte.
Sie näherten sich Tiefenau nicht von Osten, sondern mehr von Süden. Der Arobarn hatte diesen Weg gewählt, um die Küstenstraße benutzen zu können. »Es ist nur ein kurzer Umweg, und diese Straße ist besser zum Marschieren geeignet, besonders bei Regen«, hatte er gesagt, ohne zu erklären, woher er über die Qualität der Straßen in Farabiand und im Delta informiert war. »Und wir möchten die Linulariner Truppen in der Stadt nicht überraschen.«
Das verwunderte Maianthe.
»Wir möchten sie nicht überrumpeln und überwältigen«, erläuterte der Arobarn. »Wir möchten, dass sie uns kommen sehen und sich dann vielleicht vor uns zurückziehen. Erst wenn sie nicht zurückweichen sollten, werden wir sie überwältigen.«
Er hatte sich jedoch ganz danach angehört, als rechnete er mit dem Rückzug der Linulariner Streitkräfte. Auch das verwunderte Maianthe. Schließlich hatte sich Linularinum bislang erstaunlich entschlossen gezeigt. Der Arobarn konnte gewiss nicht mit Verstärkung aus Casmantium rechnen, während die Linulariner Soldaten auf dieser Seite des Flusses alles haben mussten, was sie brauchten.
»Das trifft alles zu«, pflichtete ihr der Arobarn bei, als Maianthe ihre Bedenken vorbrachte. »Und Gerent Ensiken ist der gleichen Meinung wie Ihr: Wir könnten herausfinden, dass Linularinum sich nicht zurückziehen möchte. Aus militärischer Sicht bleibt ihnen aber nichts anderes übrig. Das hier ist feindliches Territorium für sie. Die Hälfte aller Männer in diesem Land sind bei der Miliz oder war es mal. Wir haben die Gunst des Landes auf unserer Seite und die Linulariner Soldaten nur Verdrossenheit und geschleuderte Steine.«
Der casmantische König hatte Maianthe gebeten, vorauszureiten und mit den Milizoffizieren von Kames zu sprechen, und auf diese Weise hatten sie sich mit drei gut besetzten Milizkompanien verstärkt, die jetzt unter dem Befehl der Berufsoffiziere des Arobarn ritten. Diese kombinierte Streitmacht führte nicht mehr nur das Speer-und-Falken-Banner Casmantiums, sondern auch das Eichenbanner des Deltas und die goldene Gerste sowie den blauen Fluss
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