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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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unverändert schien … vollkommen unverändert, wie in Glas eingefasst, einer zierlichen Blüte oder einem Blatt gleich von einem Glasbläser umschlossen. Gleichwohl schien es, als wäre das Glas von innen nach außen gewendet, sodass alles außerhalb in völlige Reglosigkeit gebannt war und nur innerhalb der Spirale Bewegung und Leben möglich blieben.
    Das erwies sich jedoch als Illusion, denn noch während Tan dieser seltsamen Vorstellung nachhing, flog die Zimmertür lautlos in Stücke – nun ja, nicht wirklich lautlos; es war eher so, dass die Geräusche des Berstens und Splitterns nicht wichtig erschienen.
    Linulariner Soldaten strömten ins Zimmer, sprangen dann aber zur Seite, statt weiter vorzudringen. Tan fragte sich, was sie wohl sahen: Tatsächlich fragte er sich, was er selbst sah. Maianthe war am Ende ihrer Linie eingetroffen und Tan im offenen Mittelpunkt der Spirale, aber während er stehen blieb, ging Maianthe weiter und setzte einen Fuß ordentlich vor den anderen. Obwohl sie weder Schreibfeder noch Tinte führte, zog sich die Linie unter ihren Füßen weiter – oder Maianthe zog sie mit den Füßen, einfach indem sie weiterging. Tan fragte sich, ob er ihr folgen sollte, aber er sah keinen Raum dafür; und er konnte auch nicht erkennen, wie Maianthe Platz fand, um ihren Weg fortzusetzen – nur, dass sie ihren eigenen Platz ebenso schuf wie ihre eigene Linie. Tan wusste jedoch nicht, wie er ihr das hätte gleichtun sollen.
    Istierinan Hamoddian kam nach den Soldaten zur Tür herein, und sie machten ihm Platz. Tan drehte sich um und blickte Istierinan an, über eine gewaltige Entfernung und zugleich überdie kurze Distanz in einem alltäglichen, eher kleinen Zimmer hinweg. Der Linulariner Spionagemeister wirkte alt – viel älter als bei ihrer letzten Begegnung, die noch gar nicht so lange zurück lag. Alt und krank. Die Gesichtsknochen standen hervor, die Augen waren dunkel und hohl, die Hände skelettartig dünn. Er hielt etwas in der Hand – eine Schreibfeder, stellte Tan fest. Sie war aus einer weißen Falkenfeder angefertigt, an deren Spitze eine Tinte von so dunklem Rot glänzte, dass es beinahe hätte Blut sein können. Dann blinzelte Tan erneut und erkannte, dass es tatsächlich Blut war.
    Istierinan sagte etwas – er brüllte etwas: Die Halssehnen traten dabei hervor. In gewisser Hinsicht konnte Tan ihn nicht hören, oder er vernahm nur etwas Undeutliches, wie aus weiter Ferne. Wenn er jedoch über die Töne nachdachte, wurde ihm klar, dass sie tatsächlich laut schallten. »Ihr wisst nicht, was ihr da tut!«, schrie Istierinan. »Ihr wisst nicht, was ihr tun könnt!« Er begann, sich dem Ansatz der Spirale zu nähern; die weiße Feder hielt er wie eine Waffe ausgestreckt.
    Gleichzeitig stockte Maianthe, allerdings nicht wegen Istierinan. »Es reicht nicht«, sagte sie bestürzt. »Ich kann sie nicht vollenden – die Windungen sind zu eng … Sie reicht nicht tief genug … Es ist nicht richtig, ich mache es nicht richtig, es ist ganz falsch …«
    »Unwissendes Kind!« Istierinan war außer sich vor Zorn und Entsetzen, das ein solches Ausmaß annahm, dass es beinahe in ein Hochgefühl überging. »Natürlich schaffst du das nicht! Wie könntest du auch? Komm da heraus, wende sie um … Du!«, schrie er Tan zu. »Gib mir sofort zurück, was du gestohlen hast, und ich kann es vielleicht selbst jetzt noch wieder in Ordnung bringen!« Er kam näher, baute sich am Eingang zur Spirale auf, zögerte dort jedoch. Sein Atem ging schwer, und seine Hände bebten, während er sich für den ersten Schritt wappnete.
    »Ihr werdet es niemals in Ordnung bringen!«, schrie Maianthe. »Das könnt Ihr nicht, das werdet Ihr nicht, das möchtet Ihr nicht mal! Geht hinaus, geht weg!«
    »Maia«, sagte Tan, »wenn du es nicht schaffst … wenn du nicht tun kannst, was immer auch nötig ist, kann er vielleicht …«
    Maianthe wandte sich ihm zu. Sie weinte vor Enttäuschung und Furcht, und ihre Stimme zitterte, als sie nun sprach; trotzdem redete sie mit leidenschaftlicher Überzeugung. »Er kann es nicht! Er hat es schon vorher falsch geordnet! Er war es, und wenn er es nicht war, dann jemand wie er. Da bin ich mir sicher! Und er hat es nicht richtig gemacht! Es war nie richtig – vom ersten Mal an nicht, als es niedergeschrieben wurde!«
    »Maia, was wurde falsch niedergeschrieben?«
    »Alles!«, schrie Maianthe. »Das Gesetz der Welt! Er ist ebenso Magier wie Rechtskundiger! Er hasst das

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