DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Feuer, und wenn er das Gesetz in dieses Buch schreibt, dann wird er es ganz falsch niederlegen!«
Istierinan betrat die Spirale zwischen den schwarzen Linien und kam rasch voran.
Tan drehte sich um und wollte sich ihm stellen, als der Spionagemeister die letzte Windung entlangschritt. Aber ungeachtet Istierinans Alter und erkennbarer Krankheit näherte er sich Tan wie ein überlegener Schwertkämpfer einem absoluten Grünschnabel, der so dreist gewesen war, ihn herauszufordern. Tan hatte geglaubt, die Magie der Rechtskundigen zu verstehen. Jetzt wurde ihm klar, dass er gar nichts verstand. Er war sich nur einer Sache absolut sicher – dass er den älteren Mann fürchtete.
»Ich sehe die Richtung, die es nehmen sollte – wenn ich es doch nur zu Ende bringen könnte!«, rief Maianthe. Obgleich sie sich drehte und die Spirale weiterzuzeichnen versuchte, nach innen und nach unten, schien es, als stemmte sie sich gegen etwas Massives – als versuchte sie, sich durch Luft zu zwängen, die soblank und fest und unnachgiebig wie Glas geworden war, aber nicht annähernd so leicht zu zerbrechen.
Ohne Vorwarnung peitschte Feuer aus der Luft hervor und von außen in die Randbereiche der Spirale. Es klatschte gegen Maianthes leere schwarze Linie wie gegen ein materielles Hindernis, an der es bis zur Decke aufstieg.
Tan taumelte, fiel auf die Knie und beugte sich über das Buch, das er nach wie vor fest in der Hand hatte, als enthielte es all seine Hoffnungen auf Leben und Verstand. Das Feuer drang nicht bis zum Mittelpunkt der Spirale vor; vielmehr peitschte es entlang der Spiralwindungen nach außen und in das Zimmer hinein. Es wälzte sich auch über Istierinan hinweg, der stolperte, aber nicht in Brand geriet.
Außerhalb der Spirale tobte das Feuer viel schlimmer. Flammen rasten tosend die Wände hinauf; die zur Seite geschobenen Stühle gingen in Flammen auf; Flammen leckten über die Bohlen des Fußbodens hinweg. Die Soldaten ergriffen die Flucht.
Maianthe schrie, wie Tan endlich bemerkte. Er erhob sich auf ein Knie, drehte sich nach ihr um und sah, dass sie unversehrt war. Sie hockte auf der schwarzen Linie der Spirale, drückte sich die Hände vor den Mund und zitterte, blass vor Entsetzen, ohne jedoch von der Linie zurückzuweichen, die sie gezeichnet hatte.
Jemand anderes ächzte – ein tiefer wunder Laut der Agonie, und die Flammen sanken auf einmal herab und erloschen flackernd. Wände und Fußboden waren angesengt; alles war angesengt, vom Inneren der Spirale einmal abgesehen. Aber nirgendwo tobte mehr das lebendige Feuer.
Ein Mann stand vor dem Eingang zur Spirale. Seine Haltung war starr und unerbittlich. Das strenge Gesicht zeigte eine Miene bitterer Resignation und Wut. Während er den Kopf drehte und das Zimmer und Maianthes Spirale ins Auge fasste, brannte Macht in den schwarzen Augen. Istierinan straffte seinen Rücken und starrte den Mann voller Grauen und Abscheu an.
Ein wenig entfernt von dem Fremden standen ein großer Mann und ein Mädchen, das neben ihm winzig wirkte; es war blass und zerbrechlich und hatte sich halb hinter ihm versteckt. Der Mann hielt ihre zierliche Hand fest mit der eigenen Pranke umklammert, und zwar richtig fest, wie die vorstehenden Unterarmsehnen zu erkennen ließen. Es war jedoch nicht das Mädchen, das vor Schmerzen geächzt hatte, sondern der Mann. Er ließ sie jetzt los und legte seine schrecklich verbrannte Hand in die andere.
Das Mädchen wirkte bestürzt und wandte sich ihm zu.
»Nein!«, blaffte der dunkle Fremde. »Närrin! Begreifst du nicht, was vielleicht erwacht, wenn du einen Menschen mit Feuer heilst?«
»Er hat recht«, stimmte der große Mann ihm zu. »Er hat recht. Das darfst du nicht.« Er wich von dem Mädchen zurück; das Gesicht war verzerrt vor Schmerzen und irgendeinem starken, gefährlichen Gefühl.
»Dann ist es meine Schuld!«, schrie das Mädchen, wirbelte von ihm fort und schien Anstalten zu treffen, vielleicht in die Luft zu springen und sich zu entfernen.
»Nein!«, schrie der dunkle Mann erneut.
Das Mädchen warf sich zu ihm herum. »Lass mich gehen!«, rief sie. »Kairaithin, lass mich gehen! Wenn das meine Schuld ist, dann lass es mich wiedergutmachen! Er kann mich nicht in die Schranken weisen!« Die Stimme klang hoch und hell, wütend und verzweifelt und irgendwie nicht wie die Stimme eines Menschen. Und die junge Frau leuchtete, wie Tan bemerkte, als würde ein inneres Feuer in ihr brennen. Flammen flackerten im Gewirr der
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