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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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blinzelte Maianthe; Leben und Bewusstsein kehrten in ihre Augen zurück, und sie hielt Tan das Buch hin.
    Er fasste es nicht an, sondern packte Maianthe am Ellbogen, deutete mit dem Kopf zur Seite, zur entferntesten Tür, die aus diesem Zimmer führte, und zog die Brauen hoch.
    »Ja«, flüsterte Maianthe und lief dorthin.
    Die Tür führte direkt in ein winziges, fensterloses Eckzimmer, das wahrscheinlich für eine Kammerzofe vorgesehen war. Doch es war nicht mit dem dafür üblichen schmalen Bett und der winzigen Kommode ausgestattet, sondern mit einem ordentlichen kleinen Schreibtisch und Regalen voller teurer Bücher und geringfügiger Andenken. Ein bebildertes Herbarium lag aufgeschlagen und ungestört auf dem Tisch; zweifellos befand es sich dort, seitdem sie alle jäh aus diesem Haus geflohen waren.
    Das winzige Gemach bot sicherlich so viel Schutz vor feindlichen Soldaten, wie sie nur irgendwo hier finden konnten. Maianthe klappte das Herbarium zu und schob es zur Seite, um dann das leere Linulariner Buch auf den Tisch zu legen. Sie fuhr mit einer Fingerspitze über die Linien und Schlaufen des verzierten Ledereinbands und warf dann einen recht ausdruckslosen Blick auf Tan.
    »Du weißt, was zu tun ist«, murmelte ihr Tan zu.
    Maianthe schüttelte nur den Kopf. »Ich dachte, ich wüsste es«, flüsterte sie. Offenbar wusste sie nicht, dass ein Flüstern weiter trug als leises Sprechen, aber hier in diesem Winkel dürfte das nichts ausmachen. Sie wirkte bang und unsicher, und das war viel schlimmer. Flüsternd fuhr sie fort: »Ich dachte, ich wüsste, was zu tun wäre, aber jetzt sehe ich nichts weiter als ein Buch! Alles andere ist wie … wie ein Traum, nebelhaft und immer schwächer. Wir sind hier und haben dieses Buch, und ich weiß jetzt gar nichts mehr …«
    »Schhh«, murmelte Tan und fasste sie an der Schulter, umsie zu beruhigen. »Alles wird gut. Alles wird gut. Schhh. Ich sehe mir dieses merkwürdige Erzeugnis am besten mal an. Der Schlüssel zu unseren Hoffnungen und der Gegenstand des Verlangens aller unserer Feinde – und doch ist es so klein.«
    Maianthe erkannte das Zitat natürlich nicht. Sie nickte nur mit unsicherer Miene.
    Tan versuchte nicht, es ihr zu erklären. Er streckte nur die Hand aus – hielt dann jedoch inne und nickte der jungen Frau zu. »Sei doch bitte so lieb und öffne es für mich.«
    Maianthe überwand sich, ein nervöses leises Lächeln zu zeigen und zu nicken, und klappte selbst das Buch auf. Sie blätterte durch mehrere der schweren elfenbeinfarbenen Seiten, jede so leer wie ein wolkenloser Himmel. »Wenn du etwas hineinschriebst … Wenn du nichts wirklich plantest, einfach nur eine Schreibfeder auf seine Seite hieltest – denkst du, du könntest dann abfassen, was du … was du musst? Was du im Kopf hast?«, fragte sie.
    »Was so als mein Kopf durchgeht«, brummte Tan zerstreut. »Vielleicht.«
    »Ich habe hier jedoch keine Schreibfeder …«
    Wortlos zog Tan ein Päckchen Schreibfedern aus einer Innentasche seiner Kleidung, hielt es mit leichtem Schwung hoch und legte es neben das Buch.
    Maianthe klappte eine weitere leere Seite um und dann noch eine. Sie schüttelte den Kopf. »Da steht gar nichts. Es ist so seltsam. Es sieht fast so aus, als hätte da nie irgendetwas gestanden.«
    Tan stieß einen beruhigenden Laut aus, ohne etwas zu sagen, und war auch nicht wirklich aufmerksam. Er nahm aus dem Päckchen eine Schreibfeder – klein, aber ordentlich aus einer Krähenfeder hergestellt – und prüfte sie mit dem Daumen. Die Tinte war schwarz: eine gute Tinte mit gleichmäßigem Fluss, die nicht körnig war und keine Aussetzer hatte. Und sie war direktin diese gut gefertigte Feder gefüllt – genau das, was man vom persönlichen Magier des casmantischen Königs auch erwarten würde. Oder Exmagier, denn es war Fürst Beguchren Teshrichten, von dem Tan das Federpäckchen erhalten hatte. Er blickte nachdenklich auf das Buch. Als er jedoch Anstalten traf, es anzufassen, etwas hineinzuschreiben, konnte er sich zu beidem nicht überwinden. Er empfand ein grundloses, aber intensives Grauen vor dem Buch – und ganz besonders davor, Tinte auf die leeren Seiten zu bringen. Er wusste, dass er sich unmöglich überwinden konnte, überhaupt etwas hineinzuschreiben.
    »Nun?«, fragte Maianthe besorgt und vergaß zu flüstern.
    Tan schüttelte den Kopf. Er lachte, wenngleich leise. »So weit sind wir gekommen, und was haben wir für all unsere müden Schritte

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