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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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fähig sein, sich einen Weg ins Freie zu brechen, falls es ihm gelang, sich von den Ketten zu lösen.
    Was nicht wahrscheinlich erschien. Die Scheune war vielleicht baufällig, aber die Ketten waren neu und solide gefertigt und im Fußboden verschraubt, der deprimierend robust wirkte. Keine Spur von Holzfäule am Boden, nein. Die Bretter oben … Als Tan die Halsmuskeln anspannte und vorsichtig an der Kette um seinen Hals zerrte, spürte er keinerlei Nachgeben bei ihnen. Auch gelang es ihm nicht einmal dann, als er sich auf die Zehenspitzen stellte und den Kopf einzog, die Gleitkette ausreichend zu lockern, damit er den Kopf hindurchziehen konnte. Kurz überlegte er, ob er nicht die Kette um den Hals mit einem Ruck wegreißen könnte; aber es wäre sehr unglücklich gewesen, hätte er sich dabei zufällig selbst die Luftröhre zerdrückt, anstatt die Kette zu brechen. Istierinan hätte sich vor Lachen geschüttelt, wenn er schließlich eintraf.
    Eine Zeit lang stand Tan nur reglos da, dachte nach und ließ den Blick ziellos durch die Scheune schweifen, wobei er auf eine Eingebung hoffte. Niemand tauchte auf. Er stellte fest, dass er zitterte, und da er keinerlei anderen Schutz hatte, versuchte er sich einzureden, dass er nicht fror. Doch viel zu viele kleine Windböen und -stöße fanden ihren Weg durch die Ritzen und Spalten und klaffenden Öffnungen, wo Bretter fehlten. Frühling mochte es ja sein, aber er war gerade erst angebrochen, und selbst im Delta war es zu kalt, um ohne Stiefel oder Hemd herumzulaufen. Das Licht wurde schwächer … Zogen Wolken auf? Tan bezweifelte, dass sich das Scheunendach gegen Wind und Regen als dicht erweisen würde. Ein kalter Regen wäre perfekt,um seine Lage abzurunden. Obwohl er, da er nichts zu trinken hatte, vielleicht noch dankbar selbst für den kältesten Regen sein würde. Oder dämmerte der Abend? Es schien ihm zu früh dafür. Andererseits wusste er im Grunde nicht, wie lange seine Entführung zurücklag. Stunden? Tage? Sicherlich hätte er viel mehr Durst, wäre es schon so lange.
    Erneut versuchte er die Bolzen zu lockern, die seine Ketten hielten – denn er hatte schon entschieden, dass die Ketten selbst ein hoffnungsloser Fall waren. Nichts. Dann versuchte er kurz, die Hände aus den Fesseln zu ziehen. Immerhin waren seine Hände lang und die Gelenke nicht übermäßig dick. Die Stahlfesseln erwiesen sich jedoch als zu fest. Selbst wenn Tan sich die Hand- und Fingerknochen gebrochen hätte, wären die Fußgelenke noch immer in Ketten. Und es würde schwierig sein, sich damit auseinanderzusetzen, wenn man sich die Finger gebrochen hatte. Vielleicht wäre es ein Gewinn, wenn er den Hals aus der Würgekette ziehen könnte. Das würde er versuchen, wenn er verzweifelt genug war. Jetzt noch nicht.
    Er konnte es mit Schreien versuchen. Er wusste allerdings sehr wohl, dass keine anständige, an der Entführung unbeteiligte Person nahe genug sein würde, um ihn zu hören. Falls Feinde in der Nähe waren, würden sie ihn jedoch hören. Vielleicht kamen sie sogar. Er fühlte sich nicht wohl angesichts dieser Ungewissheit. Also auch erst mal keine Schreie. Obwohl vielleicht bald …
    Dann ging unvermittelt außerhalb seines Blickfelds eine Tür knarrend auf und fiel dumpf wieder ins Schloss. Die Feinde kamen also letztlich. Es war ein Beleg für Istierinans Gerissenheit, dass Tan fast froh war, sie zu hören. Er reckte die Schultern und drehte den Kopf. Stiefelschritte tönten hohl über den Fußboden hinweg; es waren mehrere Personen. Staub stieg auf. Jemand hustete. Fackellicht bewegte sich schwankend, rot wie der Tod.
    Der Istierinan, den Tan kennengelernt hatte … Istierinan Hamoddian, der Sohn des hohen Herrn Iskiriadde Hamoddian, hatte sich als unbekümmerter Geck von einem Höfling gegeben, ein Mann mit Verstand und Vermögen, aber ohne jedes Interesse an ernsthaften Themen und ohne jede Verbindung zu solchen. Er war ausschweifend und verwegen, doch zweifellos schlau. Die Art Mann, den gewisse jüngere Söhne verehrten, die Lasterhaftigkeit um ihrer selbst willen bewunderten und die mit großer Wahrscheinlichkeit im Zuge irgendeines dummen Kunststücks oder Streits jung starben.
    Istierinan Hamoddian zeigte Tan jetzt allerdings ein ganz anderes Gesicht. Er war nicht nur schlicht gekleidet wie irgendein beliebiger Reisender, sondern auch sein langes knochiges Gesicht wirkte ausdruckslos und still, obschon es für gewöhnlich ausdrucksstark war. Sehr wenig wies noch

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