DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Magierin zu werden. Aber das könnte sich jetzt als nützlich erweisen, keine Frage.«
Maianthe konnte selbst nicht glauben, dass sie wirklich im Begriff war, magische Kräfte zu entwickeln. Auch schämte sie sich etwas dafür, dass sie bei Geroen diesen Eindruck erweckte. Allerdings hatte sie nicht versucht, ihn an der Vorbereitung dieses Einsatzes zu hindern. Und sie stimmte ihm in der Frage zu, ob die Königin informiert werden sollte – genauer gesagt, war sie mit ihm einer Meinung, dass die Königin besser nicht informiert werden sollte. Maianthe hatte sich nicht mit Naithe oder ihren treuen Wachleuten streiten wollen, und Geroen ging es ganz offensichtlich ebenso. Stattdessen einigten sich beide darauf, schnell zu handeln. Und das taten sie auch – so schnell sogar, dass sie Tans Entführer aus Linularinum beinahe erwischten, ehe diese den Spion über den Fluss schaffen konnten. Aber eben nur beinahe.
Maianthe war dem Hauptmann unendlich dankbar dafür,dass er sogar in diesem Augenblick nicht verzagte, sondern den Sieg noch dem gähnenden Schlund der Niederlage entriss.
Jetzt waren sie zurück in Farabiand, ohne dass schon die Morgendämmerung angebrochen wäre, was unglaublich erschien. Maianthe vermutete, dass Bertaud und der König inzwischen den größten Teil des Weges bis Sihannas zurückgelegt hatten und überhaupt nichts von dem wussten, was Tan widerfahren war oder was Maianthe getan hatte. Und das erschien ihr in gewisser Hinsicht noch unglaublicher.
Tan war inzwischen wieder mehr oder weniger bei Bewusstsein, was sich jedoch als recht misslich erwies. Maianthe, die mit ihm im Wagen fuhr, zuckte jedes Mal zusammen, wenn der Wagen über einen unebenen Pflasterstein holperte. Tan schien längst über jedes Zusammenzucken bei solch banalen Dingen hinaus. Es hatte fast aufgehört zu regnen, aber man konnte nach wie vor unmöglich sagen, ob die Feuchtigkeit auf Tans Gesicht Regentropfen oder Tränen waren. Maianthe fand, dass man Tan seinen Teil an Tränen alles in allem zugestehen musste.
Endlich ragte das große Haus vor ihnen auf. Leider wartete es nicht in aller Stille auf sie, wie Maianthe es erwartet und gehofft hatte. Hoch auf ihren Pfosten in den Gärten und vor jedem Fenster loderten die Lampen; das Haupttor stand trotz der kalten Dunkelheit auf den Straßen weit offen, und überall sah man Delta-Wachleute und königliche Soldaten.
Hauptmann Geroen biss die Zähne zusammen. Er blickte Maianthe auf ihrem Platz im Wagen nicht direkt an, als er die Vermutung aussprach: »Ich nehme an, Ihre Majestät hat meinen Offizieren entlockt, was wir vorhatten.«
Maianthe biss sich auf die Lippe und nickte. Geroen hatte recht. Königin Naithe musste von dem Einsatz erfahren haben, und auch wenn sie mit dessen Ergebnis gewiss einverstanden war, zeigte sie sich womöglich wirklich böse über den gezeigtenMangel an … Raffinesse. Und selbst wenn nicht, so würde sie doch König Iaor gewiss von allem berichten. Als womöglich noch schlimmer könnte sich erweisen, dass entweder Naithe oder der König sicherlich Bertaud informieren würde.
Maianthe sagte jedoch optimistisch, wobei sie sich um einen festen und entschiedenen Tonfall bemühte: »Wir sind hier im Delta, und Ihre Majestät ist nicht die Herrin des Deltas. In Bertauds Abwesenheit bin ich das. Das hat er selbst gesagt.« Sie zögerte. Das hatte standfest geklungen, oder? Sie wünschte sich, sie hätte den Wahrheitsgehalt dieser Feststellung mit halb so viel Standfestigkeit empfinden können. Gleichwohl fuhr sie fort: »Wenn ich also unseren … äh … Überfall gutgeheißen habe, dann hat nicht mal die Königin dabei ein Mitspracherecht. Jedenfalls kein besonderes.« Sie konnte sich jedoch nicht den Zusatz verkneifen: »Das denke ich.«
»Huh«, entfuhr es Geroen, der eindeutig nicht beruhigt war.
»Ich hatte allerdings gehofft, dass sie es nicht herausfinden würde«, räumte Maianthe in dünnerem Ton ein. »Ich vermute, sie wird es Iaor melden. Und Bertaud.«
»Vermutlich wird sie das«, pflichtete ihr Geroen mürrisch bei, der sich eindeutig nicht darauf freute, ihrem Vetter gegenüberzutreten. »Wahrscheinlich wird mich Euer Herr Vetter wieder zum Gefängniswärter herabstufen, sobald er von dieser Sache erfährt. Vorausgesetzt, er wirft mich nicht selbst in eine Zelle.«
Maianthe schüttelte den Kopf, fragte sich aber insgeheim, ob Geroen nicht vielleicht doch recht hatte. Wären sie schlau und schnell genug gewesen, dann hätten
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