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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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kennengelernt hatte, als sie noch ein Mensch gewesen war. Oder überwiegend ein Mensch.
    König Iaor zog eine Braue hoch, aber es war Fürst Bertaud, der daraufhin sprach. »Dann ist sie also gänzlich eine Kreatur des Feuers geworden.«
    Das war eine Feststellung, keine Frage, und ein seltsamer Unterton schwang in der Stimme des Fürsten mit – ein Unterton, den Jos nicht zu deuten wusste. Er fasste Fürst Bertaud genauer ins Auge.
    Während der König in den vergangenen Jahren etwas gesetzter und gemütlicher geworden war, schien Fürst Bertaud, so fand Jos, schwermütiger und introvertierter geworden zu sein. Außerdem lag eine Grimmigkeit seiner Haltung und seiner Stimme zugrunde, die nicht auf den Sorgen des Augenblicks beruhte, wie Jos dachte, sondern die sich aus tieferen Sorgen oder tieferem Kummer herausgebildet hatte. Eine Trauer über eine verlorene Liebe, ein noch nicht gestilltes persönliches Verlangen? Oder etwas weniger leicht Erkennbares? Jos bemerkte, dass Bertaud mit Bedacht vermied, Kairaithins Blick zu erwidern, und fragte sich, woran das lag. Ich habe Bertaud, dem Sohn von Boudan, die Nachricht überbracht, so hatten die Worte des Greifen gelautet. Warum ausgerechnet Bertaud?
    Jos wusste kaum etwas über Fürst Bertaud und gar nichts darüber, was dieser nach den seltsamen und misslichen Ereignissen vor sechs Jahren getan hatte. Jahrelang hatte Jos sich nicht für die übrige Welt interessiert. Tatsächlich war er ihr sogar entschlossen aus dem Weg gegangen, und so musste er jetzt mit Unbehagen feststellen, dass er die Lage nicht überblickte.
    In den ersten Jahren, in denen sich Kes noch von fern daran erinnert hatte, was sie vorher gewesen war, hatte sie ihn bisweilen aufgesucht und ihm von ihrem Leben unter den Greifen erzählt. Sie schilderte ihm dann die Schönheit des Feuers und der leeren Wüste, und manchmal trugen sie und Opailikiita ihn hoch durch das kristallene Feuer der Wüstennacht. Das war schön, und Jos sehnte sich dabei nach eigenen Flügeln, um aus eigener Kraft auf diesen Aufwinden seine Bahn zu ziehen. Doch schon zu Zeiten, als sie noch Mensch war, hatte sich Kes jedoch kaum für die Welt der Menschen interessiert, und nachdem sie sich zu einer Kreatur des Feuers entwickelt hatte, scherte sie sich noch weniger um die Belange der Menschen.
    In jenen Jahren – und selbst heute noch ab und an – war es Sipiike Kairaithin, der Jos die eine oder andere Nachricht aus der Welt der Menschen überbrachte. Auf jeden Fall war es Kairaithin gewesen, der ihm das Wie und Warum des Großen Walls erklärte, auch wenn er nie darauf zu sprechen kam, warum er seine Kraft gegen das eigene Volk eingesetzt hatte, als er bei der Errichtung des Walls half. Der Greif erwähnte jedoch manchmal Bertaud, und Jos verstand oder glaubte zu verstehen, dass Kairaithin so etwas wie ein Freund dieses Menschen geworden war – insoweit ein Greif mit einem Menschen Freundschaft zu schließen vermochte. Jos stellte sich darunter so etwas wie die Beziehung vor, die er mit dem Greifen unterhielt: vielleicht schlecht zu definieren und nur schwer zu erklären, aber nichtsdestoweniger eine Beziehung.
    Was er jedoch in Bertaud erblickte, als dieser den Blick des Greifen kurz erwiderte, das war nichts, was er verstanden hätte.
    Dann ist sie also gänzlich eine Kreatur des Feuers geworden, hatte der Fürst gesagt. Jos starrte ihn einen Augenblick lang an und erwiderte schließlich langsam: »Ja, mein Herr, ja. Ich fürchte, so ist es. Sie hat vergessen, was sie war, oder sie erinnert sich vielleicht daran wie an einen Traum, wie ich glaube. Sie ist inzwischen eine Magierin. Die mächtigste Feuermagierin in der Wüste, könnte ich mir vorstellen – abgesehen von Sipiike Kairaithin.« Er nickte Kairaithin kurz zu.
    »Ich verstehe.« Bertaud blickte mittlerweile Jos an. Sein Ton war jetzt fast schmerzlich nichtssagend.
    Jos bemühte sich, nicht zusammenzuzucken. Er achtete darauf, selbst bei einem nüchternen Tonfall zu bleiben. »Tastairiane Apailika ist inzwischen ihr Iskarianere. Sie hört auf ihn, vermute ich, und versucht, den Wall von der Wüstenseite her zu durchbrechen. Und es wird ihr letztlich gelingen, wenn sie weiter daran arbeitet, diese Risse zu vergrößern.«
    »Tastairiane«, sagte König Iaor. »Das ist doch der weiße Greif. Dieser wilde.«
    »Ja«, bestätigte Jos, ohne hinzuzusetzen, dass alle Greifen wild waren. Immerhin hatte der König in jeder relevanten Hinsicht recht, was Tastairiane

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