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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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hätte sie gern gefragt, was in der Stadt geschah, aber natürlich wussten die Männer auch nicht mehr als sie. Eher weniger, da sie nicht zu den Fenstern des Sonnengemachs hinausgeblickt hatten. Es sei denn … »Sind Nachrichten eingetroffen?«, fragte sie die Wachleute.
    Sie schüttelten die Köpfe. »Wir hätten alle Nachrichten ohnehin an Euch weitergeleitet, meine Dame«, antwortete einer von ihnen. »Aber es kam nichts. Nicht mehr, als wir schon wussten. Es wird gekämpft. Soweit wir wissen, können wir sie bislang auf der anderen Seite des Platzes aufhalten, obwohl sie uns überrascht haben.«
    Maianthe nickte.
    »Wir geben sofort Bescheid, wenn Neues vermeldet wird«, versprach ihr der Wachmann.
    »In Ordnung«, murmelte sie und kehrte ins Sonnengemach zurück. Sie öffnete ein Fenster und ließ die kalte Nachtluft und die fernen Schreie und den Schlachtenlärm herein. Näher am Haus war fast überhaupt nichts zu hören: Die wenigen verbliebenen Dienstboten verhielten sich ganz still, als fände die Gefahr sie nicht, wenn sie nur keinen Mucks von sich gaben. Obwohl sich ein weiterer ferner Laut in Maianthes Wahrnehmungmischte; es klang, als sänge jemand … Nun, das war eine alberne Vorstellung gewesen; der Laut klang überhaupt nicht nach Gesang, aber Maianthe fiel kein passenderes Wort ein.
    Der Klang wurde lauter, obwohl er noch immer sehr schwach war. Vielleicht war es ja ganz und gar keine Melodie, aber es war auch nicht jenes ungeordnete Geräusch des Windes, der an dünnen Blättern oder messerscharfen Gräsen vorbeipfiff. Dieser Laut jetzt drehte sich aufwärts und im Kreis, aufwärts und im Kreis.
    Maianthe stellte fest, dass sie dem Klang zu folgen versuchte, nur drehte sich dieser immer wieder in sich selbst hinein und stieg dabei immer höher … Inzwischen vermochte sie ihn nicht wirklich mehr zu hören; er war dafür zu hoch und zu schwach geworden. Nur konnte sie ihn trotzdem weiter fühlen, wie er sich drehte und drehte, und jetzt wurde ihr klar, dass sie hier einer Art Zauberwerk lauschte. Dass sie ihm seit einiger Zeit zuhörte und dabei irgendwie selbst hineinverwickelt worden war. Sie sah nicht mehr den Widerschein des Laternenlichts auf dem Fensterglas und nicht die matten Formen der Stadt draußen, auch nicht die Sterne am Himmel oder die Funken der Fackeln, welche die Wachmänner in den Gärten trugen. Tatsächlich sah sie die eigenen Hände nicht mehr, obwohl sie sie anzuheben und vor den Augen zu öffnen und zu schließen glaubte. Sie konnte genauso gut auf einem Stuhl sitzen oder stehen oder im eigenen Bett liegen und träumen. Sie wusste es nicht. Sie konnte nichts sehen und nichts hören. Da waren nur die dunklen, eng um sie geschlossenen Windungen und dieser Laut, der nicht wirklich ein Laut war und den sie nicht mehr hören konnte.
    Junge Menschen, die spürten, wie die Zaubergabe in ihnen erwachte, gingen zum Studium nach Tiearanan, zumindest die unter ihnen, die in sich die nötige Hingabe hierfür entdeckten. Das galt nicht für alle – nicht annähernd für alle. Maianthe hatteeinmal einen Jungen kennengelernt, den Sohn einer Dienstbotin. Als dieser Junge namens Ges um die zwölf oder vierzehn Jahre alt gewesen war, hatte seine Mutter Bertaud einen Löffel aus der Küche gezeigt, der aus feinem opalisierenden Gestein bestand, und dabei nervös erklärt, dass es ein gewöhnlicher Holzlöffel gewesen war, bis ihr Sohn damit Suppe umrührte – und jetzt sehe man sich das nur mal an! Bertaud hatte mit den Fingern über den Löffel gestrichen und den Jungen gefragt, ob er ihn wirklich verwandelt hatte. Und Ges hatte, noch nervöser als seine Mutter, geantwortet, dass er es nicht wusste, sich aber fürchtete, jetzt noch etwas anzufassen. Er sagte, er glaubte, inzwischen die Stimmen der Erde und des Regens zu vernehmen – wobei die Erde in einem tiefen, knirschenden Raunen sprach, wie er erzählte, und die unzähligen Stimmen des Regens kurzzeitig und glitzernd aufklangen.
    Maianthe war eifersüchtig auf den Jungen gewesen, nicht wegen des Löffels oder auch nur deshalb, weil er die im Regen verborgenen Stimmen hörte, sondern weil er nach Tiearanan gegangen war. Ihr Vetter hatte Ges Geld gegeben – und dessen Mutter noch etwas mehr Geld – und ihnen einen eigenen Mann mitgeschickt. Während der Begleiter und die Mutter vor Jahresende wieder ins Delta zurückkehrten, tat der Junge dies nicht. Maianthe vermutete, dass er inzwischen ein Magier war – oder vielleicht

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