Der Grenzgänger
Leder, eine Journalistin.“
„Kenne ich nicht“, entgegnete der Schreiberling spontan. Für einige Sekunden blieb er still. „Oder doch?“ Es fiel ihm wieder ein. „Wir haben einmal über diese Frau im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Maria Guillot gesprochen. Stimmt’s?“
„So ist es“, bestätigte ich ihm. „Aber Frau Doktor Renate Leder ist nicht nur Journalistin und Freundin von Maria Guillot, sie ist außerdem noch Lektorin.“
„Momang, Momang!“ Sümmerling unterbrach mich aufgeregt. „Wenn Sie so anfangen, weiß ich schon, was folgt. Ich wette mein Weihnachtsgeld darauf, dass diese Frau auch die Lektorin von Renatus Fleischmann ist.“
Er habe mitten ins Schwarze getroffen, lobte ich den AZ-Reporter. Gelegentlich hatte Sümmerling wirklich Lichtblicke, die ihn meine Gedanken erraten ließen.
Ich lockte ihn weiter in meine Richtung. „Glauben Sie mit diesem Hintergrund des Opfers immer noch an einen Verkehrsunfall oder war der Zusammenstoß vielleicht eine geplante Attacke?“ Es sprach zwar nichts dafür, meinte ich insgeheim für mich, aber ich konnte versuchen, den Schreiberling zweifeln zu lassen.
„Das ist bei der Konstellation nicht auszuschließen“, antwortete er aufgeregt. „Das ist zumindest eine Frage, die man einmal in der Zeitung andeuten könnte.“
Ich war zufrieden, so hatte ich mir es vorgestellt. Wenn nichts dran war an meiner Vermutung, würde sich die Geschichte in Wohlgefallen auflösen, wenn ich Recht haben sollte, würden vielleicht einige Mitmenschen unruhig werden. „Ich warte auf Ihr Fax“, sagte ich zum Abschied, „ich bin gespannt, was die Grünen über den tatsächlichen oder vermeintlichen Verkehrsunfall geschrieben haben.“
Der arme Poet
Lange brauchte ich nicht auf den versprochenen Unfallbericht zu warten. Er war eine Wiederholung dessen, was mir der Polizist zuvor am Telefon mitgeteilt hatte. Aus der Meldung war auch nicht andeutungsweise herauszulesen, dass es sich nicht um einen Unfall, sondern um einen Anschlag gehandelt haben könnte. Der Unfallverursacher wurde allen Ernstes im umständlichen Beamtendeutsch aufgefordert, sich unverzüglich bei der Polizei zu melden. Eine Zeugin hätte den Unfallwagen erkannt, wurde behauptet.
Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand auf diesen Bluff hereinfallen würde.
Ich legte das Fax zur Seite und streckte mich zufrieden in meinem Sessel. Damit war das Thema Fleischmann/Leder zunächst einmal beendet, befand ich für mich. Jetzt konnte ich mich wieder den lukrativen Dingen zuwenden und den Reichtum von Doktor Dieter Schulz mehren. Aber ich kam nicht dazu, mir die von Sabine bereitgelegte Akte über die diskrete Scheidung einer Fabrikantenehe vorzuknöpfen. Das Telefon hielt mich von meiner Arbeit ab.
Böhnke wünschte mich dringend zu sprechen. Er hielt sich nicht lange an einer Begrüßung oder Erklärung auf. Auch ging der Kommissar erst gar nicht auf den Zeitungsartikel ein. Ihn kümmerte es keineswegs, dass ich als Informant genannt worden war. Ich hatte nichts Geheimnisvolles verraten, insofern sah er keine Veranlassung, überhaupt über den Bericht zu sprechen. Vielmehr bat er mich ausgesprochen höflich, ihn am Nachmittag zu begleiten.
„Ich möchte nicht gerne alleine in der menschenleeren Wohnung von Fleischmann herumstöbern“, sagte der Kommissar zu meinem Erstaunen, „vier Augen sehen mehr als zwei. Zwei Männer können sich außerdem gegenseitig besser decken als ein Einzelgänger.“
Er sei mir eine einzige Erklärung schuldig, meinte ich als bescheidene Anmerkung vorbringen zu dürfen: „Ich denke, Sie machen Freizeit?“
„Mache ich auch“, brummte Böhnke unbehaglich. „Es soll jedenfalls nach außen so aussehen. Ich arbeite gewissermaßen verdeckt.“
„Warum?“
Der Kommissar gab sich geheimnisvoll und ausweichend und lenkte auffällig ab: „Haben Sie inzwischen einmal in die Bücher von Fleischmann hineingesehen?“
„Nein.“ Ich hätte keine Zeit gehabt, antwortete ich. Ich sah allerdings jetzt auch keine Veranlassung mehr dazu, nachdem meine Mandantin vorläufig aus dem Spiel ausgeschieden war. „Dann lesen Sie die Romane und Sie werden mich vielleicht verstehen.“ Das müsse mir zur Erklärung genügen, behauptete der Kommissar, und meine Neugier wecken. Böhnke ließ sich von mir noch einmal ausdrücklich mein Erscheinen an der Stephanstraße vor der Wohnung Fleischmanns bestätigen. „Wehe Ihnen, wenn Sie nicht antanzen!“,
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