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Der Grenzgänger

Der Grenzgänger

Titel: Der Grenzgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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drohte er mir scherzhaft. „Mich interessiert schon, wie ein armer Poet sein karges Leben fristet“, bemerkte ich lapidar als Zusage. Das sei der alleinige Grund, weshalb ich Böhnke begleiten würde, behauptete ich wenig überzeugend.
    Mein grauhaariger Freund ließ mich nur wenige Minuten allein vor dem unauffälligen Mietshaus in der geschlossenen Häuserzeile warten. Es war erstaunlich ruhig auf der Straße, Alltag eben. Lediglich ein in die Jahre gekommener roter Golf mit Dürener Kennzeichen, der auf der Suche nach einem Parkplatz mehrmals langsam an mir vorbeifuhr, sorgte für Bewegung im Straßenbild. Aber die Reihen der parkenden Autos waren und blieben geschlossen.
    „Woher haben Sie die Schlüssel?“, fragte ich Böhnke, während er den klapprigen Briefkasten an der ehemals weiß getünchten Wand im Hausflur öffnete. Aber der triste Blechbehälter war leer.
    „Von Fleischmanns Eltern“, antwortete er beiläufig, als wir langsam und ständig umherschauend durch das leere Treppenhaus ins Dachgeschoss stiegen. Bei Vater und Mutter hatte Fleischmann einen Ersatzschlüssel deponiert, erklärte der Kommissar, der schmunzelte. „Jeder liefert einen Ersatzschlüssel bei irgendjemanden ab. Sie etwas nicht, Herr Grundler?“
     
     
    Ich blieb verblüfft auf dem Treppenabsatz stehen. Tatsächlich hatte auch ich einen Ersatzschlüssel gehabt und abgegeben. Aber bei wem? Der Kommissar hatte mich unbeabsichtigt auf ein kleines Problem hingewiesen.
    „Fleischmanns Eltern haben mir die Erlaubnis gegeben, die Wohnung zu durchsuchen“, fuhr Böhnke fort. Er hatte sie am Morgen in Geilenkirchen aufgesucht, sie hatten ihm bereitwillig die Schlüssel gegeben. „Sie können sich nicht erklären, was passiert ist. Fleischmann hat Ihnen nie etwas über seine Schreiberei erzählt“, sagte der Kommissar, während er die Wohnungstür aufschloss. „Der Sohn hat seine Eltern nur selten besucht. Geschwister hat er keine“, ergänzte er, als sei diese Mitteilung von größter Wichtigkeit. „Die Eltern sind gewissermaßen seine Alleinerben.“
    Für einige Augenblicke verharrte ich verunsichert im Eingang, dann trat ich vorsichtig ein. So hatte ich mir die Wohnung eines Schriftstellers nicht vorgestellt. Ich hatte, ähnlich wie bei Renate Leder, übervolle Bücherregale erwartet, Stapel von Papieren, einen unaufgeräumten Schreibtisch mit überquellendem Aschenbecher und anklebender Kaffeetasse, in der sich noch der abgestandene Rest der braunen Brühe befand. Aber mitnichten, die Wohnung von Fleischmann war kühl und nüchtern. Spärlich möbliert dominierten weiß gestrichene, kahle Wände. Ein schmaler Flur, zwei kleine Zimmer, eine Küche, ein winziges Bad mit unverhangenen Fenstern in den Dachschrägen machten das spartanische Reich des Krimiautors aus.
     
     
    Der Autor lebte zwar durchaus bescheiden, aber beileibe nicht so, wie nach meiner Vorstellung ein armer Poet zu leben hatte.
    Es sah ordentlich und aufgeräumt aus in der Wohnung. Auf dem Schreibtisch lagen die Stifte der Länge nach sortiert in einer Dose. Das Papier unterschiedlicher Größe stapelte sich in verschiedenfarbigen Plastikablagen. Säuberlich beschriftet standen Aktenordner in einem wandhohen Bücherregal, das die gesamte Zimmerseite direkt neben dem Schreibtisch einnahm. Eine Tageszeitung hatte Fleischmann wahrscheinlich nicht abonniert, wir hätten sonst gewiss sein Exemplar im Hausflur oder im Briefkasten gefunden. Auch fehlte ein Telefon, ebenso ein Fernseher. Lediglich ein altes Kofferradio mit ausgezogener Antenne, das auf dem überladenen Regal neben dem Schreibtisch stand, lieferte dem allein lebenden Autor Informationen. Ein Computer hatte längst die Funktion der Schreibmaschine übernommen, seine Tastatur war ebenso ordentlich mit einer Schutzhülle verdeckt wie ein Drucker.
    Ich erinnerte mich an die Beurteilung, die seine Lektorin von Fleischmann gegeben hatte. Er sei gründlich und penibel genau, hatte sie gemeint, und war damit offenbar das genaue Gegenteil von Renate Leder, jedenfalls so weit es die Wohnungen betraf. In dieser Wohnung konnte nichts versteckt werden. Es gab nur offene Regale. Ob in Küche oder Bad, im Schlafzimmer oder im Arbeitsraum, überall waren fein säuberlich Kleidung, Nahrung oder Material geordnet. Das Schlafzimmer war zu klein, um sich darin mit zwei Personen bewegen zu können. Ich stellte mir Damenbesuche darin vor. Sie wären zwangsläufig sehr innig gewesen, aber wahrscheinlich fanden sie erst gar

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