Der Grenzgänger
Ermittlungen überzeugten mich nicht. „Es ist aber so“, versicherte der Kommissar ernst. „Ich möchte den Rücken freihaben bei meiner Arbeit und nicht dummen Fragen ausgesetzt sein. Das könnte meine Tätigkeit erheblich beeinträchtigen.“
Auf diese Antwort konnte ich mir keinen Reim machen. „Wer sollte Ihnen dumme Fragen stellen? Wer sollte Sie behindern?“
Böhnke schaute mich entschuldigend an. „Lesen Sie Fleischmanns Bücher und Sie werden mich verstehen.“ Er blickte auf seine Armbanduhr und erhob sich. „Ich muss zurück nach Huppenbroich, meine Freundin möchte, dass ich pünktlich zum Essen komme.“ Er drückte mir fest die Hand. „Lesen Sie und passen Sie auf sich auf, mein Freund.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte der Kommissar das Lokal schon verlassen. Es blieb mir überlassen, unseren geringen Getränkeverzehr bei dem herangeeilten Kellner zu begleichen.
Auf der Jakobstraße stolperte ich fast über den Gast aus Düren, der anscheinend immer noch oder schon wieder in langsamer Fahrt durch die Gegend kurvte. Bevor ich einen genaueren Blick auf den Fahrer werfen konnte, beschleunigte der Golf und fuhr davon. Offenbar hatten die beiden Insassen die Suche nach einer Abstellmöglichkeit für ihr Gefährt endgültig aufgegeben, wenn sie danach Ausschau gehalten hatten.
De Haan
Unzufrieden lief ich zur Theaterstraße zurück. In welchem Stück spielte ich mit? Welche Rolle hatte ich? Was war mit Renatus Fleischmann, was war mit Renate Leder, aber vor allem, was war mit Böhnke? Ich kam mir wirklich vor wie in einem Kriminalroman, in dem ich selbst nach einem knappen Viertel immer noch nicht wusste, wohin die Reise gehen würde.
„Du bist zu sehr durch die Arbeit angespannt“, versuchte mich Sabine zu beruhigen. Ich saß, unruhig mit einer Büroklammer spielend, in meinem Sessel, sie stand hinter mir und massierte mir den Nacken. „Du stehst unter Stress und hast dir diese Geschichte auch noch aufhalsen lassen. Du hast deshalb schon Halluzinationen.“ Das Beste sei es in diesem Falle, für ein paar Tage abzuschalten. Sabine schlang ihre Arme um meinen Hals. „Wie wär’s mit De Haan?“
Die Idee gefiel mir ausgezeichnet. „Gerne“, sagte ich zustimmend und drückte meine Liebste fest an mich. „Aber was sagt unser allmächtiger Brötchengeber dazu?“
Sabine wandte sich aus meiner Umarmung und zog aus ihrer Jeanstasche einen Autoschlüssel, den sie mir triumphierend zuwarf. „Dieter ist einverstanden. Er meint, du brauchst unbedingt eine entspannende Auszeit, du seist nur noch nervös und ekelhaft. Wir sollen sofort losfahren.“
Meine Liebste ließ mir keine Zeit, den unverschämten Vorwurf zu verarbeiten. Ehe ich mich versah, saß ich schon im Porsche unseres Chefs und fuhr mit Sabine an der Seite in Richtung Brügge. An der Nordsee in De Haan besaß eine Immobiliengesellschaft, die Dieter und ich aus steuerlichen Zwecken gegründet hatten, direkt an der Strandpromenade in den nicht gerade schmuckvollen Hochhäusern aus Beton ein gemütliches Apartment mit einem tollen Ausblick auf das Meer, in das wir uns gelegentlich ganz privat und von niemandem erkannt zurückzogen.
Sabine hatte bei dem vermeintlich überstürzten Aufbruch gen Westen an alles gedacht. Ich hatte Jeans, Sweatshirts und Unterwäsche in der von ihr gepackten Sporttasche dabei, sie in einem Koffer ihre Garderobe, und auch das Wichtigste hatte sie nicht vergessen. „Ich habe sämtliche bisher von Fleischmann erschienenen Romane eingepackt“, sagte mein Organisationstalent vergnügt. Sie zwickte mich fest und schmerzhaft in den Oberschenkel. „Falls du dich tatsächlich mit mir einmal langweilen solltest.“
Mit meiner Liebsten war es mir auch bei schlechtestem Regenwetter an der Nordsee nie langweilig. Wir hatten genug mit uns zu tun und immerhin hatten wir uns mit ausreichendem Lesestoff eingedeckt für den Fall, dass wir uns einmal wegen der notgedrungenen Dauernähe nicht mehr ausstehen konnten.
Die fünf handlichen Taschenbücher mit den Kriminalgeschichten von Fleischmann wanderten ständig zwischen Sabine und mir umher. Jeder von uns wollte die Romane in chronologischer Reihenfolge lesen, was dazu führte, dass wir uns bei jeder Gelegenheit gegenseitig das Erstlingswerk abluchsten.
Schließlich wurde es mir zu bunt und ich befahl meiner Sekretärin kraft meiner Stellung als Vorgesetzter, mich zuerst lesen zu lassen, was die mir Untergebene erstaunlicherweise
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