Der Grenzgänger
unvermittelt. „Vielleicht gibt es den Maulwurf gar nicht. Möglicherweise hat Fleischmann seine Angaben überhaupt nicht aus Ihrem Bereich erhalten. Sie haben sich den Maulwurf nur eingebildet. Wenn Sie annehmen, Fleischmann habe weitergehende Informationen, dann kann es doch sein, dass er alle Informationen von außerhalb hat und Ihr Maulwurf deshalb nur ein Phantom ist.“ Ich sah Böhnke grinsend an. „Mit unserem heutigen Wissen können wir sagen, Fleischmann hat Informationen, die nicht aus den Kreisen der Polizei und der Staatsanwaltschaft stammen. Oder?“
Der Kommissar stöhnte. „Sie machen die Sache wieder komplizierter, als sie ohnehin schon ist.“
„Wieso?“, entgegnete ich. „Sie können doch froh sein, wenn Ihre Maulwurfthese falsch sein sollte. Dann blieben nur noch zwei Täterkreise.“ Ich glaubte allerdings selbst nicht, was ich behauptete. Jedenfalls sah ich noch keinen Grund, endgültig auf die Suche nach dem mutmaßlichen Maulwurf zu verzichten.
Die Geschichte war und blieb undurchsichtig und kompliziert, fast so wie Fleischmanns Romane. Ich hätte denken können, dass wir in einer seiner Geschichten mitspielten und er dabei alle Fäden in der Hand hielt.
Lange schaute ich aus dem Seitenfenster hinaus auf die Dauerbaustelle, die die A 4 in Richtung Aachen nun mal ist. „Das Konto von Gerstenkorn ist unser letzter Schlüssel, um ihn dingfest zu machen“, meinte ich schließlich zu Böhnke, der mir nicht widersprach.
Ob wir dadurch aber auch den Mörder von Fleischmann finden konnten, wollte er nicht behaupten.
Leben und Sterben
Lange saß ich nach dem kargen Frühstück mit ungesüßtem Pfefferminztee und einer trockenen Scheibe Schwarzbrot am Schreibtisch in meiner Bude und sortierte die vielen Zettel mit den Fakten, die ich mir nach Besuchen, Gesprächen und Beobachtungen gemacht hatte. Wenn ich ehrlich zu mir war, musste ich mir eingestehen, dass ich nicht mehr durchblickte. Es passte einfach nicht alles zusammen und das Wenige, das zusammenpasste, schien logisch, ohne mich der Lösung dieser vertrackten Geschichte näher zu bringen.
Es gab zwei Möglichkeiten, wie ich weiterkommen konnte: Entweder konzentrierte ich mich auf einen Verdächtigen und verfolgte ihn, bis er als Täter dingfest gemacht war oder seine Unschuld feststand, um im zweiten Falle den Nächsten ins Visier zu nehmen, oder aber ich stocherte weiter herum, sammelte die nächsten Fakten, aus denen sich dann eventuell ein Gesamtbild machen ließ.
Ich war mir noch nicht schlüssig, wie ich fortfahren sollte, als das Telefon klingelte. Es würde wohl Küpper sein, vermutete ich, aber ich hatte mich geirrt.
„Na, endlich wieder im Lande?“, meldete sich überzogen höflich der AZ-Reporter. „Wo haben Sie bloß gesteckt, Herr Grundler?“
„Überall und nirgends“, gab ich ausweichend zur Antwort. „Was wollen Sie von mir?“
Sümmerling lachte auf. „Ich will überhaupt nichts von Ihnen, ich wollte Ihnen nur eine Sensation mitteilen. Aber wenn Sie nicht interessiert sind, kann ich ja wieder auflegen.“
Mit dem Begriff „Sensation“ war ich vorsichtig. So manche angebliche Sensation entpuppte sich beim zweiten Blick als zwar voll gepumpter, aber poröser Luftballon, der schnell zusammenschrumpelte. „Wie sieht denn Ihre Sensation aus?“, fragte ich belustigt. „Die Leder ist schwanger.“
Ich kam nicht dazu, diese Neuigkeit zu verdauen. „Ein befreundeter Arzt im Krankenhaus hat sich gestern beim Stammtisch verplappert, als ich von der Lektorin sprach“, sprudelte der Journalist los. „Sie wird im zweiten Monat sein, sagt mein Freund. Jetzt überlegen die Ärzte, ob sie die Schwangerschaft wegen des Komas abbrechen sollen oder nicht. Toll, was?“ Der Zeitungsmann schien restlos begeistert. „Das ist doch eine Supergeschichte: Komatöses Unfallopfer trägt Kind unter dem Herzen.“
Ich konnte weder etwas Sensationelles noch eine Supergeschichte erkennen. Ich hielt mich deswegen mit meiner Meinung zurück. „Na, und?“ Es läge doch in der Natur der Frauen, dass sie im Gegensatz zu Männern durchaus in der Lage wären, maßgeblich an der Erhaltung der Art mitzuwirken, meinte ich übertrieben gelangweilt. Es ärgerte mich, dass Renates Privatleben an die Öffentlichkeit gezerrt werden konnte, ohne dass sie die Möglichkeit hatte, sich zu wehren.
„Sie haben keine Fantasie“, stöhnte Sümmerling. „Nicht nur der Umstand, dass im Körper einer fast toten Frau ein Kind
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