Der Grenzgänger
anzusehen war, dass darin eine Behörde hauste. Ein unscheinbarer, kleiner Mann fast im Pensionsalter mit Halbglatze und Schnauzbart, der sich als Jansen vorstellte, hatte uns nach unserer Anmeldung am Schalter der Polizeistation im Flur in Empfang genommen und in sein Zimmer geleitet. Umständlich, aber begeistert, berichtete er uns auf dem Weg durchs kahle Treppenhaus vom Wagenfund. Mir kam es vor, als sehe Jansen diesen Fund als den bisherigen Höhepunkt seiner sich dem Ende zuneigenden Laufbahn an.
„Es ist nur noch eine Frage von Minuten, bis wir die Daten bekommen“, versicherte der Polizist eilfertig und hatte dann nichts Wichtigeres zu tun, als Böhnke vorzurechnen, wie viel Rente er bekäme, wenn er sofort aus dem Dienst ausscheiden würde, oder wie viel er erhielte, wenn er noch ein, zwei oder drei weitere Jahre arbeiten würde.
Als makaber empfand ich die thematische Überleitung von Jansen. „Ich habe Gott sei Dank den Dienst überlebt“, meinte er und klopfte auf Holz, „anders als ein junger Kollege von uns, der vor ein paar Jahren von Erkelenz nach Mönchengladbach gewechselt ist.“
„Gestern war Beerdigung“, sagte er, mich langweilend, „deshalb hat es auch einen Tag länger gedauert, ehe wir uns mit dem Geländewagen beschäftigen konnten.“ Jansen langte in seinen Schreibtisch und zog eine Fotokopie hervor. „Der hat’s hinter sich“, bemerkte er und reichte Böhnke das Blatt. „Den hat’s bei einem Unfall voll erwischt.“
Der Kommissar warf nur einen flüchtigen Blick darauf und reichte es mir weiter. Er konnte nichts damit anfangen und wollte seine Zeit nicht damit vergeuden.
Mir hingegen war der Unfallbericht der Autobahnpolizei durchaus willkommen. Langweiliger als das Gerede von Jansen konnte der Bericht auch nicht sein. Ich musste den Text zweimal lesen, ehe ich ihn verstand. Die Unfallschilderung war derart unglaubwürdig, dass ich meine Zweifel hatte, ob er sich tatsächlich so ereignet hatte. Doch dann erinnerte ich mich an den Unfall der Lektorin und kam zu der Erkenntnis, dass keine Fantasie ausreicht, um die Realität zu überbieten. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich mir bildlich vorstellte, was ich las: „Nach Angaben der Autobahnpolizei der Bezirksregierung Düsseldorf ereignete sich kurz nach Mitternacht ein tragischer Verkehrsunfall auf der BAB 61 in Richtung Venlo. Aus noch ungeklärter Ursache kam der 44-jährige Fahrer mit seinem Pkw nach rechts von der Fahrbahn ab. Er rutschte zirka 40 Meter an der rechten Schutzplanke entlang. Vermutlich durch die Wucht des Aufpralls wurde der wohl nicht angeschnallte Fahrer teilweise aus der Beifahrertür geschleudert. Der Wagen rutschte noch rund 130 Meter weiter über die Fahrbahn, bevor das Auto erneut gegen die Schutzplanke schleuderte. Hier wurde der 44-jährige Mann zwischen seinem Auto und der Schutzplanke gequetscht. Der Wagen schlingerte nach links über die gesamte Fahrbahn der Autobahn 61 und verkeilte sich total beschädigt in der Mittelschutzplanke. Beim Queren der Fahrbahn schleuderte der Mann nun ganz aus seinem Auto und blieb auf der Fahrbahn liegen. Hier wurde er von zwei nachfolgenden Pkw-Fahrzeugführern, 37 Jahre und 58 Jahre alt, überrollt.“ Ich schüttelte mich und schluckte schwer, als ich die letzten Sätze der Mitteilung las: „Der sofort über die Autobahnpolizeiwache Mönchengladbach informierte Not- und Rettungsarzt konnte nur noch den Tod des 44-jährigen Autofahrers feststellen. Die BAB 61 musste für Rettungs-, Bergungs- und Verkehrsunfallaufnahmemaßnahmen beidseitig für mehrere Stunden voll gesperrt werden. Der Verkehr wurde großräumig umgeleitet.“
Das anspringende Faxgerät schreckte mich aus meiner makabren Lektüre auf.
„Aha“, jubilierte Jansen, „da kommt ja unser Ergebnis.“ Er beugte sich über das Gerät, während er nach der Lesebrille in der Brusttasche seines Hemdes fingerte, und las kopfnickend mit, als das Blatt langsam ausgespuckt wurde. „Wie ich mir gedacht habe: Der Wagen war gestohlen.“ Er riss das Faxpapier ab und gab es an Böhnke weiter, der neugierig seine Augen darauf richtete.
Ich bemerkte die Veränderung in seinem Blick, erkannte die volle Konzentration, die sich bei ihm binnen Sekundenbruchteilen einstellte. Das Fax musste eine wichtige Information enthalten. Ich ließ den Kommissar gewähren, beherrschte meine Unruhe und wartete, bis er mir das Papier weiterreichte.
Ich traute meinen Augen nicht, als ich den Namen des
Weitere Kostenlose Bücher