Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
zum Cofan-Dorf gehen wollten. „Ich kann Sie rüberbringen“, erklärte er. „Aber es wird 20.000 Sucres kosten.“ Ich bot ihm 10.000 an. „OK, 10.000.“ Er schloss die Tür hinter sich ab und führte uns zum Fluss. „Welches Kanu gehört Ihnen?“, fragte ich. „Kanu? Ich habe kein Kanu.“ Stattdessen rief er jemanden. Nachdem er zehn Minuten lang gerufen und gepfiffen hatte, erschien ein hölzerner Einbaum. Obwohl ich mich irgendwie über’s Ohr gehauen fühlte, bezahlte ich ihm die 10.000 Sucres . Der Fährmann war Laureano – der Führer, den wir gesucht hatten. Er war ein kleiner, plumper, gelenkig wirkender Mann – Mitte dreißig, schätzte ich – mit einer sanften Art und einem Topfhaarschnitt.
Er war, wie jeder im Oriente, mit einem alten T-Shirt, Gummistiefeln und glänzenden Nylon-Fußballshorts bekleidet. Im Unterschied zu den meisten Cofan sprach er allerdings etwas Spanisch. Wir verbrachten die Nacht in seinem Haus, das aus zwei Gebäuden auf Stelzen bestand, die mit einem Steg verbunden waren. Es war offensichtlich sorgfältig und liebevoll gebaut worden, aber die unbehandelten Oberflächen und das Fehlen bündiger Kanten hatten eine deutliche Anmutung natürlicher Materialien – Stämme und Äste direkt aus dem Wald. Unter dem Haupthaus war Feuerholz sauber aufgestapelt. Das Land ringsherum war gerodet und mit Blumen und Obstbäumen bepflanzt worden. Hühner und drei kleine Kinder rannten im Schmutz herum.
Das Hauptgebäude war in zwei Räume geteilt. Der hintere Teil war die Küche mit einer Feuergrube in der Mitte auf dem Boden. Der vordere Teil war halb überdacht und halb Balkon. Es gab keine Möbel. Wir schliefen auf diesem Balkon, während die Familie im zweiten Gebäude schlief. Wir breiteten unsere Schlafsäcke und Moskito-Netze aus und ruhten uns aus. Der Balkon gestattete einen herrlichen Blick durch die Bäume auf den Fluss. Wir gingen schwimmen. Die Strömung war so stark, dass man gerade noch auf demselben Fleck bleiben konnte, wenn man kräftig schwamm. Als wir herauskamen, war Marks Rücken mit hundert winzigen Sandfliegen-Bissen bedeckt. Sonst schien niemand gebissen worden zu sein.
Am nächsten Morgen waren Marks Bisse verschwunden. Wir anderen hatten große Ausschläge. Mir war das ein Rätsel. „Hatte ich euch nicht gesagt, dass ich ein Schamane bin?“, witzelte Mark.
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Das Zentrum des Lebens auf der Erde
Am nächsten Morgen gingen wir nach einem Frühstück aus Reis, Fisch und Bananen in den Wald. Laureano wurde von einem weiteren Cofan, Delfin, begleitet – einem stämmigen, untersetzten Mann mit einem ordentlichen Gregory-Peck-Schnurrbart und einem verschmitzten Funkeln in den Augen. Er wirkte verkatert.
Laureano und Delfin schlugen mit Macheten auf den Vorhang aus Ästen ein, der über den Weg gewachsen war, seit dieser das letzte Mal benutzt worden war. Nach zwei Stunden erreichten wir unser Camp – zwei Plattformen auf Stelzen, die in rund 20 Metern Entfernung zueinander auf einer kleinen Lichtung standen. Die eine war für Laureano und Delfin, die andere für uns. Die Plattformen waren von einem Dach aus Ästen überdacht, aber nach den Seiten hin zum Dschungel offen. Laubwerk reichte bis an jede Ecke der Plattformen heran.
Die nächsten vier Tage zeigten uns Delfin und Laureano den Dschungel. 26
---26 Theoretisch ist der „Dschungel“ nur ein Teil des Ökosystems eines Regenwaldes. Die Äste riesiger Bäume bilden ein hohes Blätterdach, das das Sonnenlicht abhält und das Wachstum der Pflanzen darunter einschränkt. Wenn ein großer Baum umfällt, lässt er das Sonnenlicht durch eine Lücke im Blätterdach hindurch, was tausende Pflanzen anregt, zu wachsen und sich gegenseitig zu verdrängen. Diese undurchdringlichen Bereiche sind der „Dschungel“. Irgendwann wird ein Baum sich durchsetzen und hoch genug wachsen, um die Lücke im Blätterdach zu schließen. Der Amazonas insgesamt ist aber kein Dschungel, sondern ein Regenwald.
Sie zeigten uns Bäume: Bäume so breit wie ein Haus; Hohle Bäume, die groß genug waren, um darin zu schlafen; parasitische Bäume, die sich um andere Bäume wanden und schließlich ihren Wirt strangulierten. Wir schwangen wie Tarzan an gigantischen hängenden Lianen und schwammen in warmen, schlammigen Flüssen voller toter Äste und faulender Blätter. Wir fuhren mit dem Kanu winzige Flüsse hinab und duckten uns unter gefallene Baumstämme; die Vegetation wuchs im Bogen von Ufer zu
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