Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
Der deutsche Hotelmanager versicherte uns, dass es im Dezember niemals regnen würde.
„Morgen wird es schön, das verspreche ich.“ Das versprach er jeden Morgen. Nach einer Woche gaben wir auf. Als unser Bus von Sorata die Berge hinauf fuhr, sahen wir aus dem Rückfenster. Das Tal war in Sonnenschein gebadet. Wir besuchten die Ruinen von Tiwanaku bei La Paz, eine weitere Erinnerung daran, dass die Inka nur das letzte Kapitel in der langen Geschichte der Anden-Zivilisationen waren. Wir fuhren auf unserer alten Route durch Copacabana und Arequipa nach Lima zurück.
Wir verbrachten eine Nacht in Tumbes. Es war Samstag, und es gab ein paar belebte Straßen voller Bars. Hier herrschte diese typische Samstag-Abend-Stimmung, wie man sie rund um die Welt kennt: Gestern Zahltag, heute betrunken, morgen keine Arbeit. Menschenknäuel hingen an Straßenecken herum. Junge Mädchen schlenderten Arm in Arm und taten, als merkten sie nicht, wie ihnen die Jungs nachsahen. Alte Männer konzentrierten sich mehr auf ihre Drinks und Erinnerungen. An Straßenständen wurde der leckere peruanische Snack, Cerviche , serviert: Roher Fisch mit Zitrone mariniert.
Wir saßen gerade beim Bier, als vier Männer am Nebentisch uns einluden, uns zu ihnen zu setzen. Sie wollten sich unbedingt mit uns unterhalten und bestanden darauf, uns zu weiteren Bieren einzuladen. Wir waren aber schon so betrunken, dass wir nichts davon verstehen konnten, was sie sagten. Einer leierte ständig auf Englisch „I am sorry, I am sorry“, wie ein Mantra. Wir wussten nicht, was ihm leid tat. Wie er aussah, hätte ihm alles Mögliche leid tun können: Die Ungerechtigkeit, das mangelnde Verständnis füreinander, der Hass und die Dummheit in der Welt. Vielleicht tat es ihm leid, dass sich ausgerechnet gerade jetzt eine der wenigen Gelegenheiten bot, mit Ausländern zu sprechen, da er zu betrunken war, um normal zu reden. Seine Augen verrieten ein verzweifeltes Verlangen, zu kommunizieren, aber sein vom Bier benebelter Geist ließ ihn im Stich. Seine Freunde nahmen meinen Arm und deuteten auf den ruhigsten der vier.
„Er“, verkündete er mit schwingender Geste, „ist ein Inka.“ Sie fanden das extrem witzig. Er sah tatsächlich so aus: Eine lange Adlernase und ein verkniffenes, aristokratisches, lederfarbenes Gesicht. Der Inka lehnte sich in seinem Stuhl schwankend nach vorn, seine Augen in relative Ferne gerichtet. Er schenkte uns ein glückliches, betrunkenes Lächeln und winkte uns näher heran. „Ich … bin … ein Inka“, strahlte er, leicht schwankend. „Er ist ein Inka“, grölten seine Freunde entzückt und klopften ihm auf den Rücken.
„Ja, er ist ein Inka“, stimmten wir zu. Es war eine von diesen typischen Konversationen. Wir alle wollten uns unterhalten, aber uns fehlten die Mittel dazu. Die Peruaner schlugen auf den Tisch und auf ihren Freund und boten uns noch mehr Bier an. „Er ist ein Inka“, riefen sie uns nach, als wir gingen. „Es tut mir leid“, murmelte der traurig dreinblickende Mann in sein Bier.
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Guayaquil … Unabhängigkeit
„Für die Indianer war die Republik eine neue Bezeichnung für die Politik der regierenden Klasse. Die Unabhängigkeit brachte den Indianern keine Freiheit.“
Manifest von Tiwanaka, Bolivien 1973
Als wir wieder über die Grenze nach Ecuador fuhren, stiegen wir in Guayaquil in einen anderen Bus um. Ecuadors größte Stadt ist einbelebter Industriehafen, dem der Charme Quitos fehlt und den darumdie meisten Touristen meiden. Wir fuhren sofort weiter.
Guayaquil hat nur einmal internationale Schlagzeilen gemacht, als sich im Juli 1822 die beiden größten Revolutionäre Südamerikas einmalig trafen. Simón Bolívar, der von Kolumbien herabgekommen war,und José de San Martín, der von Peru heraufgekommen war, hatten zusammengenommen gerade erst die „Befreiung“ des größten Teilsdes Kontinents bewerkstelligt. Nun trafen sie sich, um die Zukunft der neuerdings unabhängigen Staaten zu besprechen. Ihre Zusammenkunft endete aber mit Meinungsverschiedenheiten (womit sie sogleich im allgemeinen Trend der Uneinigkeit lagen, der seither für das ganzeunabhängige Lateinamerika galt); bald waren beide Männer von den Ländern, die sie geschaffen hatten, tief enttäuscht.
„Hat sich also mit der Unabhängigkeit alles geändert?“, fragte Melissa. „Nein“, sagte ich. „Die Unabhängigkeit hat in Lateinamerika kaumetwas verändert, weil sie nicht die grundlegende Struktur der
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