Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
auftraten. Wir liefen dem jungen Chiglet-Verkäufer aus der vorangegangen Nacht über den Weg. „Das kanadische Mädchen. Meinst du, dass sie mich mag?“, fragte er wieder. Vielleicht ahnte er, dass er ir gendwo einen Fehler gemacht hatte.
Der Bereich vor der Bühne war total überschwemmt. Jeder, der der Bühne näher kommen wollte, wurde von einem Sperrfeuer aus Wasser- und Kalkbomben empfangen. Kreischende Teenager jagten sich gegenseitig durch die Menge, durchnässte T-Shirts klebten an drahtigen Körpern. Auf beiden Seiten der Hauptbüh ne standen gewaltige Lautsprecheranlagen, die unterschiedliche Platten spielten und sich gegenseitig übertönten. Sie spielten so gar noch weiter, als die Hauptbands voll in Schwung waren. Es war unmöglich, sie zu hören, es sei denn, man überwand sich, die volle Ladung Wasser und Kalk abzubekommen, um nach vorne zu gelangen.
Am nächsten Morgen sahen die Straßen aus wie in einem Kriegs gebiet. Die Metallgitter an den Läden waren immer noch geschlos sen. Die Gehsteige und Straßen waren unter Plastiktüten und leeren Bierdosen begraben. Zeitungen wurden vom Wind herum geweht. Penner und Straßenkinder schliefen den Alkohol- und Klebstoffrau sch der vergangenen Nacht aus. Mit anderen Worten, alles ging wieder seinen gewohnten Gang.
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Costenos
Die costeños sind warm und freundlich, sie lachen oft und lä cheln gern. Aber ich nahm auch eine gewisse Traurigkeit wahr – als wüssten sie, dass ihr Paradies ein verlorenes war. So ein wunderschönes Land. Que rico . So reich, so voller Potenzial. Und trotzdem so ein Durcheinander. Die Indianer der Anden betranken sich ebenfalls bis zur Besinnungslosigkeit, um ihr hartes Leben für eine Nacht zu vergessen. Aber wenigstens blieb ihnen eine gewisse Würde, da sie wussten, wer sie waren und wer sie beraubt hatte. Den Mestizo -Kolumbianern, die weder ganz euro päisch noch ganz indianisch waren, blieb nicht einmal das.
Sie sind Enteignete und Diebe, Opfer und Täter zugleich. „Ich liebe Kolumbien“, sagte mir ein deutscher Rucksacktourist im Miramar. „Dieses Land wird gerade erst geboren. Es ist nicht wie Europa. Europa geht zugrunde; unsere Kultur ist alt. Tot. Hier entsteht etwas Neues – aus all diesen Kulturen. Die Spanier, die Indianer und die Schwarzen. Hier ist Leben und Energie. In der Musik und in den Menschen.“
Wir nahmen den Bus und fuhren am toten Mangrovenwald entlang zurück nach Santa Marta. Diesmal lief eine Art Salsa- Komödie aus den 1960ern auf Video. Es ging um eine Frau, die tagsüber eine Cellistin und nachts eine wilde Salsareña war; sie trieb sich ständig in Nachtclubs herum, die von zwielichtigen La tino-Männern mit schlaffen Schnurrbärten, weitem Revers und blumigen lila Hemden bevölkert waren. Es war wohl der einzige Film, den wir in Südamerika sahen, in dem niemand getötet wur de. Wir checkten wieder im El Prado ein – wo wir vom dicken Al berto warm begrüßt wurden, der Melissa in einer schwitzenden Umarmung an sich drückte.
„Ah, hallo, wunderschön, wunderschön“, seufzte er.
TEIL 4
ARRECIFES
„Breathe, breathe in the air!
Don’t be afraid to care
Leave, but don’t leave me
Look around and choose your own ground
For long you live and high you fly
And smiles you’ll give and tears you’ll cry
And all you touch and all you see
Is all your life will ever be.”
“Breathe”, Pink Floyd
Kapitel 7
Arrecifes
Louis
Nach Barranquilla war es schön, wieder in der relativen Ruhe von Santa Marta zu sein. Von Mark fehlte immer noch jede Spur, also beschlossen wir, nach Arrecifes zu gehen und am Strand herum zuhängen, bis er auftauchte. Wir hinterließen eine entsprechende Nachricht im Miramar, die an „das Party-Monster“ adressiert war. Wir hatten viel von Arrecifes gehört. Jeder Rucksacktourist in Kolumbien war entweder auf dem Weg dorthin oder gerade erst dort gewesen. Das einzige Problem war, dass Arrecifes im Tay rona Nationalpark lag und dieser geschlossen war – anschei nend, weil feiernde Kolumbianer über die Weihnachtsferien ei nen Saustall hinterlassen hatten. Aber schließlich waren wir in Kolumbien. Der Manager des Miramar erklärte zwischen seinen Schachzügen, wie man vorgehen musste.
„Ja, der Park ist geschlossen. Turm schlägt Springer. Nein, es ist kein Problem. Hmm, guter Zug. Ihr braucht einen Führer, der weiß, wie man die Parkwächter umgeht. Schach. Braucht ihr ei nen Führer? Ja, wir haben Führer hier, natürlich …
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