Der groesste Teil der Welt
Wesentlichen vom Wohlwollen seiner früheren Kommilitonen am Wesley-College lebte (Bedürftigkeit: 9. Bestechlichkeit: 10), hatte keinen Einfluss (1). Arme, einflussreiche Leute wie Rose, eine Stripperin/Cellistin, deren immer neue Frisuren in gewissen Teilen des East Village sofort kopiert wurden (Bedürftigkeit: 9, Einfluss: 10), waren nicht korrumpierbar (o). Rose hatte auf ihrer Website sogar ein Gerüchtefach, das als inoffizielle Informationsquelle für die Polizei fungierte und wo sie mitteilte, welche Freundin von ihrem Liebsten ein blaues Auge bekommen hatte, wer ein Schlagzeug ausgeliehen und ruiniert hatte, wessen Hund stundenlang im Regen an einer Parkuhr angebunden gewesen war. Es gab einflussreiche und bestechliche Leute wie seinen Freund Max, ehemals Sänger der Pink Buttons, jetzt Windkraftpotentat, dem ein Dreiparteienhaus in Soho gehörte und der jedes Jahr eine Weihnachtsparty mit Unmengen von Kaviar schmiss, während die Leute ihm schon von August an in der Hoffnung auf eine Einladung in den Hintern krochen (Einfluss: io, Bestechlichkeit: 8). Aber Max war beliebt, weil er reich war (Bedürftigkeit: o), und er hatte keinen Grund sich zu verkaufen.
Alex starrte den Bildschirm seines Smartpads mit großen Augen an. Würde überhaupt irgendwer mitmachen? Und dann fiel ihm ein, dass sich bereits jemand bereiterklärt hatte: er selbst. Alex legte eine Grafik von sich an, wie er Rebecca erscheinen mochte: Bedürftigkeit: 9. Einfluss: 6, Bestechlichkeit: o. Alex war Purist, wie Bennie gesagt hatte, er hatte schmierige Bosse (in der Musikhranche) abblitzen lassen, so wie er jetzt gewohnheitsmäßig Frauen abblitzen ließ, die sich vom Anblick eines Mannes angezogen fühlten, der sich während der Arbeitszeit um seine kleine Tochter kümmerte. Verdammt, er hatte Rebecca kennengelernt, nachdem er einen Mann mit Wolfsmaske verfolgt hatte, der am Tag vor Halloween ihre Brieftasche geklaut hatte. Aber Alex hatte sich Bennie Salazar kampflos ergeben. Warum? Weil seine Wohnung bald dunkel und luftlos sein würde? Weil es ihn ruhelos gemacht hatte, bei Cara-Ann zu Hause zu bleiben, während Rebecca Vollzeit unterrichtete und Bücher schrieb? Weil er niemals so ganz vergessen konnte, dass jedes Byte an Informationen, das er jemals online gestellt hatte (Lieblingsfarbe, -gemüse, -Stellung beim Sex) in den Datenbanken multinationaler Konzerne gespeichert war, die beteuerten, dass sie sie niemals, niemals verwenden würden - dass er ihnen also gehörte, weil er sich ausgerechnet zu dem Zeitpunkt seines Lebens, als er sich besonders subversiv vorgekommen war, ohne nachzudenken verkauft hatte? Oder lag es an der seltsamen Symmetrie, dass er Bennie Salazars Namen zuerst von dieser verlorenen Frau gehört hatte, mit der er ganz am Anfang mal was hatte, und dass er Bennie nun endlich, anderthalb Jahrzehnte später, und zwar ausgerechnet durch die Spielgruppe tatsächlich kennengelernt hatte?
Alex wusste es nicht. Er musste es nicht wissen. Was er musste, war, noch fünfzig Leute wie ihn zu finden, die, ohne es zu bemerken, aufgehört hatten, sie selbst zu sein.
»Physik ist vorgeschrieben. Drei Semester. Wenn man durchfällt, fliegt man aus dem Studiengang.«
»Für ein Examen in Marketing?« Alex verschlug es fast die Sprache.
»Früher war es Epidemologie«, sagte Lulu. »Sie wissen, als das virale Modell noch angesagt war.«
»Heißt es immer noch >viral« Alex wünschte, er hätte eine echte Tasse Kaffee, nicht die Plörre, die sie in diesem Restaurant ausschenkten. Bennies Assistentin Lulu schien fünfzehn oder zwanzig davon getrunken zu haben - falls sie nicht immer so war.
»Kein Mensch sagt mehr >viral<«, sagte Lulu. »Ich meine, vielleicht aus Gedankenlosigkeit, so wie wir noch immer >verbinden< und >übertragen< benutzen - diese alten mechanischen Metaphern, die nichts damit zu tun haben, wie Informationen verarbeitet werden. Einfluss kann nicht mehr als Nacheinander von Ursache und Wirkung beschrieben werden, er geschieht simultan. Er ist schneller als das Licht, das ist wirklich gemessen worden. Also studieren wir jetzt Teilchenphysik.«
»Und was kommt als Nächstes? Stringtheorie?«
»Das ist ein Wahlfach.«
Lulu war Anfang zwanzig, sie hatte am Barnard College studiert und arbeitete Vollzeit als Bennies Assistentin, ein lebender Prototyp der neuen »Generation Smartpad«, papierfrei, schreibtischfrei, pendelfrei und theoretisch allgegenwärtig, obwohl Lulu einen nicht abreißenden Strom von
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