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Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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der Ferne ein Bohrer. Der übliche Konfettiregen aus Hupen und Sirenen. Das Sirren der Deckenbeleuchtung über ihm, das Schwappen einer Geschirrspülmaschine. Cara-Anns schläfriges »Nein«, während Rebecca ihr den Pullover anzog. Sie waren dabei, aufzubrechen. Alex erfasste ein Anflug von Panik bei der Vorstellung, seinen Brunch bei Bennie Salazar mit leeren Händen verlassen zu müssen.
    Er öffnete die Augen. Bennies waren schon offen, sein brauner ruhiger Blick fest auf Alex’ Gesicht gerichtet. »Ich glaube, du hörst, was ich auch höre, Alex«, sagte er. »Hab ich recht?«
     
    An diesem Abend entzog sich Alex, als Rebecca und Cara-Ann schon fest schliefen, der breiigen Wärme des gemeinsamen Bettes in seinem Schaum aus Moskitonetzen und ging ins Wohnzimmer/Spielzimmer/Gästezimmer/Büro. Wenn er an das mittlere Fenster trat und geradeaus nach oben schaute, konnte er die Spitze des an diesem Abend in Rot und Gold angestrahlten Empire State Building sehen. Diese Aussicht war ein wesentliches Verkaufsargument gewesen, damals, vor vielen Jahren, als Rebeccas Eltern ihr gleich nach dem Crash dieses kleine Apartment im Garment District gekauft hatten. Alex und Rebecca hatten die Wohnung verkaufen wollen, als Rebecca schwanger geworden war, aber dann hatten sie erfahren, dass das niedrige Gebäude, auf das ihr eigenes Haus herunterschaute, von einem Bauunternehmer gekauft worden war. Dieser hatte vor, es abzureißen und einen Wolkenkratzer zu errichten, der ihnen jegliches Licht und jegliche Luft nehmen würde. Damit war die Wohnung unverkäuflich geworden. Und jetzt, zwei Jahre später, hatte der Wolkenkratzer endlich begonnen zu wachsen, was Alex mit Angst und Untergangsgefühlen, aber auch mit einer schwindelerregenden Wehmut erfüllte - jeder Moment warmen Sonnenlichts durch ihre drei nach Osten gerichteten Fenster kam ihm köstlich vor, und dieser Splitter aus funkelnder Nacht, den er jahrelang von einem Kissen auf der Fensterbank aus beobachtet hatte, oft, während er einen Joint rauchte, erschien ihm jetzt als quälend schön, als Trugbild.
    Alex liebte die totenstille Nacht. Ohne den Lärm von Bauarbeiten und den allgegenwärtigen Hubschraubern eröffneten sich seinen Ohren ganz von selbst verborgene Klangportale: das Pfeifen des Teekessels und das Getrappel von Sandra, der alleinstehenden Mutter, die in der Wohnung über ihnen lebte, ein Hummelbrummen, das Alex ihrem halbwüchsigen Sohn zuschrieb, der wahrscheinlich im Nebenzimmer zu seinem Smartpad onanierte. Von der Straße ein vereinzeltes Husten, Gesprächsfetzen: »…ich soll jemand anders sein, das willst du doch …« und »ob du es glaubst oder nicht, Trinken hält mich rein.«
    Alex stützte sich auf das Kissen und zündete sich einen Joint an. Er hatte den ganzen Nachmittag mit dem - erfolglosen - Versuch verbracht, Rebecca zu erklären, was er Bennie Salazar versprochen hatte. Bennie hatte nichts von »Papageien« gesagt, seit den Bloggerskandalen war es zu einem Schimpfwort geworden. Obwohl politische Blogger inzwischen ihre Geldquellen posten mussten, konnten sie den Verdacht nicht ausräumen, dass die in Umlauf gebrachten Meinungen gar nicht ihre eigenen waren. »Wer hat dich bezahlt?«, war eine Frage, die jeder begeisterten Äußerung folgen konnte, und zugleich wurde man ausgelacht - wer würde sich schon kaufen lassen? Aber Alex hatte Bennie fünfzig Papageien als »authentische« Buschtrommel für Scotty Hausmanns erstes Live-Konzert versprochen, das im folgenden Monat in Lower Manhattan stattfinden sollte.
    Mit seinem Smartpad entwickelte er nun ein System, um unter seinen 15.896 Freunden mögliche Papageien zu finden. Er verwendete drei Variablen: wie dringend sie Geld brauchten (»Bedürftigkeit«), wie gut ihre Beziehungen und wie gut ihr Ruf waren (»Einfluss«) und wie aufgeschlossen sie dafür sein würden, diesen Einfluss zu Geld zu machen (»Bestechlichkeit«). Er wählte einige zufällige Personen aus und sortierte sie in jeder Kategorie auf einer Skala von 10 bis o, dann trug er die Ergebnisse in eine 3 D-Grafik in seinem Smartpad ein, um die Punktebündel, bei denen die drei Linien sich kreuzten, zu finden. Aber jedes Mal folgte auf eine hohe Punktzahl in zwei Kategorien ein ungeheuer schlechtes Ergebnis in der dritten: arme und überaus bestechliche Personen - sein Freund Finn, zum Beispiel, ein gescheiterter Schauspieler und mehr oder weniger Junkie, der auf seiner Site ein Speedballrezept veröffentlicht hatte und im

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