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Der große Bio-Schmaeh

Titel: Der große Bio-Schmaeh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens G Arvay
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gleichgekommen wäre, die Kuh wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung, also der Schlachtung, zuzuführen. Yvonne verkörperte den individuellen Sieg einer lebendigen Persönlichkeit über die Maschinerien der Lebensmittelindustrie. Sogar namhafte Vertreter der hinduistischen Religionsgemeinschaften wiesen öffentlich darauf hin: »Die Kuh hat ein Recht, zu leben.« Die Aufmerksamkeit österreichischer Medien richtete sich immer mehr auf dieses eine Tier, doch abseits der öffentlichen Wahrnehmung, hinter verschlossenen Türen, lief die Maschinerie, der die Kuh entkommen war, ungehemmt weiter. Seit Yvonnes Flucht sind durch die Lebensmittelindustrie jedes Jahr Hunderttausende konventioneller und Zigtausende Bio-Rinder in österreichischen Schlachthöfen ums Leben gekommen, von denen jedes einzelne Tier über dieselben kognitiven Fähigkeiten wie Yvonne und über einen ebenso stark ausgeprägten individuellen Charakter verfügte. Doch es ist still geworden in den Medien. Niemand interessiert sich mehr für Yvonne oder für die Schicksale ihrer Artgenossen. Die prominente Kuh war ein Medien-Hype. Für einen Augenblick wurden wir an die Schattenseiten der Mensch-Tier-Beziehung erinnert. Yvonne war nichts weiter als eine Projektionsfläche des kollektiven Unwohlseins über die Situation der Nutztiere in unserer Gesellschaft. Der industrialisierte Tod geht indessen weiter – auch für Bio-Tiere. Das
Ja!Natürlich
-Schweinderl wird auch in Zukunft niemals in einem Werbespot geschlachtet werden, sondern sich weiterhin liebreizend mit dem Retrobauern unterhalten. Doch in der Realität wird das industrialisierte Schweineschlachten für
Ja!Natürlich
ebenso fortgesetzt werden wie für andere Marken.
Von Kräuterweiden, auf denen Milch und Honig fließen
    Es überrascht Sie jetzt sicher nicht mehr: Auch die wonnigen Bilder von glücklichen Bio-Kühen auf saftigen Almen und dieser sensationelle Eindruck der grenzenlosen Rinderfreiheit, die uns in der Konzern-Werbung präsentiert werden, sind mit Vorsicht zu genießen. Für die Kameras von
Natur*pur
begibt sich Mirjam Weichselbraun auf die Alm, beugt sich zärtlich über Kühe und streichelt diese. Der Bio TM -Pionier aus dem Hause Hofer rupft für einen TV-Spot eigenhändig Gras aus dem Almboden und hält es den Wiederkäuern vor die Nase. Das
Ja!Natürlich
-Schweinchen blickt aus einem Heißluftballon auf einsame Rinderherden in wilden Naturreservaten herab. Dann wird das rosarote Ferkel für die Werbekameras querfeldein zwischen gemütlich vor sich hin kauenden Rindern über die Wiesen gejagt, um den verspielten Eindruck der Freiheit zu erzeugen. Schließlich bleibt es neben dem Retrobauern stehen, der gerade vor malerischer Bergkulisse ein paar einzelne Milchkanister auf die Ladefläche seines Geländeautos hievt. In der Märchenwelt der Werbung ist einfach alles anders als in der Realität. Aber auch in sogenannten »Informationsbeiträgen« bekommen wir nur ausgewählte Ausschnitte aus dem Bio-Rinderleben zu Gesicht, das an medientauglichen Schauplätzen inszeniert worden ist. In Interviews wird man nicht müde, immer wieder dieselben Begriffe zu benutzen, die in unseren Köpfen angenehme Assoziationen mit Natürlichkeit und Landromantik auslösen sollen. Und das ist besonders bei Milchprodukten so, für die die Werbebranche mit Vorliebe in die Trickkiste greift. Man spricht vom sogenannten »mental design«. Im Dienste dieses mentalen Designs werden unsere Gehirne mit wirkungsstarken Wörtern wie »Kräuterweide« und »Almkräuter«, »Bergbauer« oder »Heumilch« regelrecht überhäuft. In den Medienwissenschaften wird der latente Inhalt eines Begriffes – also die vermittelten Gefühls- und Stimmungswerte – als Konnotat bezeichnet. Das Wort »Kräuterweide« löst beispielsweise eine Vielzahl angenehmer Vorstellungen aus, die mit Natur, Alm und Freiheit zu tun haben. Man riecht förmlich die aromatischen Düfte der Bergkräuter, wenn man diesen Begriff hört. Mit ihren wildromantischen Gebirgsaufnahmen in TV, Zeitungen und auf Werbeplakaten verstärken die Marketingfachleute diese Effekte ins Unermessliche.
    Die Bio-Konzerne
könnten
uns, als mündige Konsumentinnen und Konsumenten, auch wissen lassen, wie biologische Rinderhaltung in Österreich in der Realität aussieht und in welchen Bereichen noch Verbesserungen nötig sind. Doch sie tun es nicht. Verschleierung, Übertreibung und Mystifizierung verkaufen sich besser.
    Ungeachtet der fiktiven Werbewirklichkeit

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