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Der große Bio-Schmaeh

Titel: Der große Bio-Schmaeh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens G Arvay
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Land- und Forstwirtschaft fallen etwa 80 Prozent der Gesamtfläche Österreichs in diese Kategorie 44 . Die Bergbauernverordnung betrifft also nicht nur »Bergbauern« im umgangssprachlichen Sinne, sondern entsprechend den Angaben des Ministeriums auch »sonstige benachteiligte Regionen (Zwischengebiete)« und »Gebiete mit spezifischen Nachteilen (kleine Gebiete)«. Als wichtigste Nachteile nennt die Verordnung steile Flächen, erhöhte Lage und klimatische Benachteiligungen. In die Beurteilung einer Hoflage als Bergbauernlage werden aber sogar Kriterien wie etwa die Entfernung zur nächsten Bushaltestelle, zum Bahnhof oder zum Bezirkshauptort mit einbezogen 45 . Und so kommt es, dass es sogar im Burgenland per definitionem »Bergbauernhöfe« gibt. Als Bergbauer zählt also jemand, der durch die betreffende Verordnung dazu ernannt wurde, egal ob der Hof in den »Bergen« liegt oder nicht. Das wäre weiter nicht dramatisch, würden die Lebensmittelkonzerne diese formale Ernennung zum Bergbauern in ihrer Werbung nicht bis aufs Letzte ausschlachten. Der Bergbauernbegriff steckt voller werbewirksamer Konnotationen der Almidylle und der Rinderfreiheit. Dass dieser Effekt beabsichtigt ist, beweisen die romantischen Gebirgsdarstellungen auf Plakaten und in TV-Spots, in denen vogelfreie Kühe im Gebirge gezeigt werden. Doch kehren wir auf den nüchternen Boden der Realität zurück: »Bergbäuerin« oder »Bergbauer« ist, wer laut Verordnung dazu ernannt wurde, weil er oder sie in irgendeiner Form in einer benachteiligten Region wirtschaftet. Mit Almromantik hat das in den meisten Fällen nichts zu tun. Abgesehen davon bleibt diese Art des »Bergbauerntums« ohne Einfluss auf die Qualität der Milchprodukte. Und selbst Milchkühe, die im »echten« Bergland leben, sind deswegen nicht glücklicher als anderswo. Denn insbesondere in beengter Hoflage, die ja in Gebirgsregionen besonders häufig ist, trifft man auf die bereits beschriebenen Ställe mit Anbindehaltung. Der Bergbauernbegriff ist im Marketing der Lebensmittelkonzerne vor allem ein Instrument des mentalen Designs, das liebliche Vorstellungen in uns wecken soll.
Die Milchstraßen des Bio TM -Universums
    Die Produktion von Käse, Butter, Joghurt, Schlagobers, Sauerrahm, Cottage Cheese, Frischkäse und anderen Milchprodukten des Bio-Massenmarktes sowie die Behandlung und Abfüllung der Milch selbst sind zentral ablaufende Industrieprozesse, so wie die Verarbeitung aller anderen bereits beschriebenen Produkte. Auf traditionelles Handwerk stieß ich im Rahmen meiner Recherchen unter der Kategorie »Milch« ebenso wenig wie in den Brotbackfabriken des Bio-Massenmarktes. Die Almkäsereien oder die in Stille reifenden Käselaibe in traditionellen Kellern, die wir aus der Werbung kennen, gehören nicht zur Realität des Bio TM -Universums.
    Konventionelle sowie biologische Käse- und Milchprodukte werden im Auftrag der Supermärkte von Großkonzernen wie beispielsweise der Molkerei Berglandmilch hergestellt. Berglandmilch hatte schon im Jahr 2001 mit fast einer Milliarde Kilo verarbeiteter Milch mehr als ein Drittel der österreichischen Molkereiproduktion inne 46 . Die industrielle Molkerei stellt das Zuhause zahlreicher konventioneller Markenprodukte dar, beispielsweise von Schärdinger, Desserta, Jogurella, Fidus, Sirius, Berghof, Landfrisch, Latella und anderen. Berglandmilch betreibt in Tirol einen weiteren Produktionsstandort: Unter dem Namen Tirol Milch stellt der Konzern unter anderem das Fruchtmolkegetränk Latella her und liefert verschiedene Bio-Milchprodukte an die großen Handelsketten. Die Firma steckt außerdem hinter dem Namen Landfrisch Molkerei. Allein die acht größten Molkereien Österreichs verarbeiten achtzig Prozent der abgelieferten Milch 47 . Der Großteil der biologischen Milch- und Käseprodukte der Supermärkte und Discounter stammt aus den Händen dieser Wachstumszentralisten. Wie bei allen anderen Produktgruppen des Bio-Massenmarktes gilt also auch für Milch und Milchprodukte: Goliaths der Lebensmittelindustrie, die an sich konventionelle Produkte herstellen, maximieren ihre Gewinnspannen durch den Einstieg ins große Bio-Geschäft.
    In der Mitte der 1990er-Jahre war die Anzahl an milchverarbeitenden Betrieben in Österreich innerhalb von zehn Jahren, also seit Mitte der Achtziger, beinahe auf die Hälfte gesunken. Verglichen mit den Sechzigern ist das nur mehr ein Viertel. Seit den Neunzigern stagnieren die Betriebszahlen. Doch trotz des

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