Der große Bio-Schmaeh
gar nicht mehr heraus. »Wir füllen alle Nischen unseres Hofes mit Leben aus«, erklärte mir der Mann unter dem grauen Filzhut. »Das hier ist ein Ökosystem, eine essbare Landschaft. Durch die Ernte verdienen meine Frau und ich den Lebensunterhalt für die gesamte Familie. Unsere Kunden wissen unsere Ware zu schätzen. Dass wir sie nicht das ganze Jahr über mit immer denselben Produkten versorgen können, macht ihnen nichts aus. Schließlich leben wir in einem Land mit vier Jahreszeiten.« Der Bauer beliefert, außer den Privatkunden, auch einen mittelgroßen Bio-Laden an der Küste mit Kräutern, Obst, Gemüse, Beeren, Marmeladen, Säften und selbst gemischtem Kräutersalz. »Wir müssen davon wegkommen, dass wir Feld und Acker immer nur als horizontale Fläche betrachten. Wir leben in einer 3D-Welt! Wenn wir die vertikale Dimension auch ausnutzen, haben wir um ein Vielfaches mehr Möglichkeiten und der Ertrag pro Quadratmeter lässt sich steigern«, erklärte mir Farmer Paul. Natürlich könne man dann nicht mehr mit industriellen Maschinen drüberjagen, fügte der Landwirt hinzu. Ich sah mich um und verstand, was er mit der Ausnutzung des vertikalen Raumes meinte: Überall wimmelte es vor Nutzpflanzen in mehreren Etagen übereinander. »An manchen Stellen lassen sich auf meiner Produktionsfläche sieben Schichten abzählen«, erklärte der walisische Bauer in routiniertem Ton, denn er hatte diese Sätze schon viele Male in seinem Leben gesagt, wann immer er Gruppen von interessierten Besuchern, manchmal auch Studenten einer britischen Agrar-universität, durch seinen Betrieb geführt hatte. Dann nannte er die sieben Ebenen: »Die höchste Schicht bilden die Kronendächer einzelner Hochstammbäume (1), dann kommen die Halb- und Niederstämme (2), die dazwischen stehen. In meinem Waldgarten gibt es eine Strauchschicht (3), aus der ich vor allem Beeren ernte. Manche Beerensträucher ranken sich auch auf die Bäume hinauf. Sie bilden die vertikale Schicht (4). Weiter unten habe ich meine Gemüsepflanzen und Kräuter (5), manche Pflanzen sind bodendeckend (6), von anderen ernte ich die Wurzeln (7). Meine Produktionslandschaft hat also auch eine nutzbare Wurzelschicht.« Natürlich darf man sich dieses innovative Agrarsystem nicht so vorstellen, dass an jedem Ort der zwei Hektar großen Fläche alle sieben Schichten ausgeprägt sind. Vielmehr erschien mir das Ganze wie ein Wald, in dem es verschiedene ökologische Nischen gibt, die nebeneinander oder auch übereinander liegen und von Nutzpflanzen besetzt werden können. »Natürlich steckt da sehr viel Planung dahinter«, gab der walisische Naturbeobachter zu bedenken. »Ich muss mir gut überlegen, welche Pflanze ich neben welche Nachbarpflanze setze, und dabei lasse ich mich von der Natur inspirieren. Es passen nicht alle Gewächse zusammen, aber am Ende soll ein stabiles Agrarökosystem entstehen. Wir Bauern müssen uns wieder zu Naturkundigen entwickeln, anstatt uns von der Wirtschaft unter Vertrag stellen zu lassen.« – »Das ist ein langwieriges Projekt«, rief ich aus und meinte damit beides, sowohl die Etablierung eines Waldgartens als auch die Befreiung der Bäuerinnen und Bauern aus der Abhängigkeit von Konzernen.
Waldgärtnerei bleibt aufgrund ihrer langfristigen Auslegung eine Nische, eine spezialisierte Domäne für einzelne Bäuerinnen und Bauern. Der Großteil der Bio-Produktionsflächen wird wesentlich pragmatischer gestaltet werden müssen, um schon kurzfristig ausreichende Erträge zu liefern.
Neben der ökologischen Königsdisziplin, der Waldgärtnerei, stieß ich auch in Österreich auf Alternativen zur Bio-Monokultur, die mit wenig Aufwand jederzeit umgesetzt werden können. Für die Industrie mögen sie wenig verlockend sein, doch dafür umso mehr für Klein- und Mittelbetriebe, die schon immer als Akteure des Ökolandbaus gedacht waren.
Es existieren viele Formen der Mischkultur als Alternativen zur Monokultur. Die häufigste, die sogenannte Streifen-Mischkultur, kann mit Traktoren bearbeitet werden: Die unterschiedlichen, ökologisch zusammenpassenden Kulturpflanzenarten werden streifenweise nebeneinander angebaut. Dieselbe Abfolge wiederholt sich dabei immer wieder. Die Streifenbreiten werden entsprechend der Arbeitsbreite der Geräte bemessen: »Ich fahre mit meinem Allradtraktor wie im Slalom durch die Kultur und visiere dabei diejenigen Streifen an, die gerade zu bearbeiten sind«, erläuterte mir ein Bio-Bauer die hohe
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