Der große Blowjob (German Edition)
Fragen an mich. Ich vergewissere mich rasch, dass ich jetzt, wo ich wieder ruhig und gefasst bin und das belastende Ereignis, wie er es ständig nennt, vorbei ist, die Klinik wieder verlassen kann. Ich verrate es ihm nicht, aber ich will noch gar nicht hier weg. Weil ich dann wieder ins Shutters on the Beach und zum Glade-Dreh zurückmüsste. Ich kann mir noch nicht beim Casting acht Stunden am Stück aufgedrehte Frauen Mitte vierzig antun, die sogenannten Abbys, die lächelnd in die Kamera zwinkern und mit einem Achselzucken sagen: «Ich liebe meine Familie – auch wenn sie nicht immer bemerken, was ich alles Cooles für sie mache!» Ich halte diesen Scheiß einfach nicht mehr aus, ich durchlebe gerade einen klassischen Fall von Metanoia. Während ich Dr. Jaktar in groben Zügen meine Krankengeschichte schildere, überlege ich kurz, ob ich einen weiteren Wutausbruch faken soll, vielleicht einfach nur mit einer heftigen Armbewegung seinen Bildschirm vom Schreibtisch fegen oder in einem plötzlichen Tobsuchtsanfall seinen Stuhl umschmeißen, aber ich will mich nicht wiederholen. Also erzähle ich ihm schließlich, dass ich in letzter Zeit oft darüber nachgedacht habe, mich umzubringen, dass ich Selbstmordgedanken habe und da familiär vorbelastet bin. Hier wird er hellhörig, das ist für diese Typen wie der Heilige Gral. Er sieht schon vor sich, wie sich Einnahmen über ihn ergießen.
«Würden Sie sich als depressiv bezeichnen?», fragt er.
«Nein.»
«Hat man bei Ihnen je eine Depression diagnostiziert?»
«Nein.»
«Woher wollen Sie dann wissen, was eine Depression ist?» Ich habe zwar keine Ahnung, sage ich, ich weiß nur, dass ich nicht depressiv bin, denn ich bin voll funktionsfähig und führe gerade die wichtige Mission aus, eine sehr große, alteingesessene Agentur neu zu erfinden. Bis auf ein paar klitzekleine Problemchen, wie etwa die Tatsache, dass ich mich in einen bösartigen Troll verwandelt habe, läuft die Sache hervorragend.
Er schlägt die Beine auseinander & beugt sich zu mir vor, äußerst interessiert. Ich erzähle ihm, dass ich trotz meiner intensiven Gefühle von Selbsthass, die eventuell bis in meine frühe Teenagerzeit zurückreichen, nicht die Absicht habe, mich umzubringen. Das ist doch wirklich zu abgedroschen, ich denke bloß hin und wieder darüber nach. Ein Thema, das mich rein philosophisch reizt, vielleicht, Tacitus oder wem auch immer zufolge, die einzige Frage, die es wert ist, überhaupt gestellt zu werden. Ist das Leben an sich nicht, wie so ein deutscher Hipster einst schrieb, ein einziger langer, komischer, fehlgeschlagener (und schließlich erfolgreicher?) Selbstmordversuch? Ich erzähle dem Doc auch ohne zu zögern, dass ich glücklich bin, schon mein ganzes Leben lang, seit ich ein Baby war, mehr oder weniger, und dass es mich deshalb umso mehr verwirrt, dass ich so viel über den Tod nachdenke. Ist aber nun mal so, vielleicht ist das bloß ein makabres Hobby von mir, wie bei anderen Leute auch, die sich für eher düstere Themen interessieren. Den amerikanischen Bürgerkrieg etwa oder den Ersten Weltkrieg oder den Zweiten Weltkrieg oder den Vietnamkrieg oder den Krieg im Irak oder Krieg ganz allgemein oder die Jagd oder Familiendynamiken oder dieses Internet-Mem bei 4 -Chan, wo sie Fotos von Miley Cyrus so krass mit Photoshop bearbeiten, dass sie nur noch schlimm verstümmelt in die Welt glotzt. Dann erzähle ich ihm die hübsche Geschichte, wie ich im Shutters am Pool gesessen und aufs Meer gestarrt habe, während ich über Menschen & ihre stinkenden Häuser gelesen habe, die eine privatisierte, elektronische Duftverbesserung benötigen. «Das hat was unbestreitbar Trauriges und zugleich Erhebendes, finden Sie nicht?», frage ich ihn. «Nein?»
«Was, dass Leute in ihrem Zuhause einen synthetischen Duft benötigen? Oder dass Sie Ihre Arbeitszeit damit verbringen, so etwas zu verkaufen?»
«Beides natürlich. Es ist dasselbe.»
«Wie meinen Sie das?»
«Weil beides Lügen sind, der Duft selbst und wie unsere Firma ihn der Welt darstellt. Und Lügen sind ein Fenster zur Wahrheit, so was in der Art.»
Er sagt eine Zeitlang nichts, und dann erklärt er mir, dass sie mich noch einen Tag hierbehalten werden, zur Beobachtung. Meine Erregungsphase sei ja offenbar abgeklungen, deshalb werde ich nicht mehr fixiert. Er entschuldigt sich für die Fixierung, aber das sei aus Versicherungsgründen nun mal unumgänglich, wie auch das Diazepam, das mir zur Beruhigung
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