Der große Blowjob (German Edition)
verpasst habe, ich habe das zweite Casting für die Spots verpasst, ich habe unseren Kick-off-Abend mit den Leuten von Gangrape verpasst, es war, glaube ich, ein Essen bei Koi. Außerdem habe ich mein Handy im Hotel gelassen. Auf der Mailbox sind inzwischen wahrscheinlich hundert Anfragen, wo ich verdammt noch mal stecke. Ich denke kurz nach, habe ich dem Hotelpagen gesagt, dass ich ins Krankenhaus wollte? Nein. Niemand würde wohl auf die Idee kommen, dass ich hier bin. Stattdessen werden sie, mit gutem Grund, annehmen, dass ich in einer Bar oder am Strand wen kennengelernt habe und mit zu ihr nach Hause gegangen bin, und die hat mich ermordet, weil sie ein Speed-Junkie ist. Oder dass ich auf einer Sauftour bin und mir mit einer Schmuckdesignerin aus der Wüste gerade das Hirn aus dem Kopf vögle oder so was. Ist kein großes Ding. Den Kunden haben sie bestimmt schon die richtigen Lügen erzählt: Ich hatte einen Notfall in der Familie, daheim in Ohio, seine Mutter, tut ihm wahnsinnig leid, nicht hier sein zu können, er hat viel Input fürs Casting beigesteuert, er hat mit dem Regisseur lange darüber gesprochen, er ist immer noch sehr involviert, dieser Dreh hat bei ihm höchste Priorität. Ich will eine Pflegekraft herklingeln, aber ich kann nicht, ich bin mit Riemen immer noch fest am Bettrahmen fixiert. Ich winde mich, um die Fesseln zu lockern, aber vergeblich.
Ich lasse mich wieder auf die Matratze sinken, und die Fesseln lockern sich von allein. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wirklich frei.
Die nächsten Stunden über sehe ich mir eine Reality Show namens «Hooker Bust» an, über Razzien im Rotlichtmilieu, dann eine namens «Operation Repo», Kunden, die pleite sind, wird der anbezahlte Neuwagen wieder abgenommen, dann eine namens «Party-Fieber», und dann noch eine über fettleibige Weiße, die reden, als wären sie aus dem tiefsten Ghetto und sich ausschließlich von Red Bull ernähren. Währenddessen denke ich darüber nach, was ich tun soll, falls ich gefeuert werde und meine Chancen in der Werbung Richtung null gehen. Ich habe es mit Drehbuchschreiben versucht, ich habe es mit Schreiben-Schreiben versucht (d.h. Erzählender Literatur), ich habe es mit Journalismus versucht (Schülerzeitung an der High School), ich habe es mit Regie probiert (zwei Online-Spots für Nike). Vielleicht sollte ich einen radikaleren Schnitt machen, ganz weg von der Kreativschiene. Wie wäre es mit Steuerberater oder Ingenieur? Oder ich könnte in die Lehre gehen. Richtig cool wäre es auch, Industriedesigner zu sein und Sachen wie Stühle und Eisteegläser zu entwerfen, oder Mobiltelefone, aber dazu müsste ich noch mal studieren. Ebenso, um Programmierer zu werden, oder Medienanwalt, was ich früher mal in Erwägung gezogen habe, oder Psychiater. Heutzutage braucht man für jeden Beruf einen akademischen Grad. Das ist wahrscheinlich so, weil durch die Globalisierung der Bedarf an lokal verfügbaren Arbeitskräften zurückgegangen ist, also sind Graduate Schools in die Lücke gestoßen, um Collegeabsolventen noch ein paar Jahre Babysitting extra anzubieten. Eine Zeitlang wollte ich sogar Architekt werden, das war, nachdem ich
Der ewige Quell
gelesen hatte. Aber dann habe ich mich schlau gemacht, Architekten verdienen wenig und müssen viel arbeiten. Außerdem hat es was Ekelhaftes, Häuser für andere Leute zu bauen, in denen sie ihr Leben leben, ihnen zu ermöglichen, ihrer Sucht nach magischem Denken, Reality- TV und ähnlichem Scheiß nachzugehen. Vielleicht sollte ich doch weiter Hohepriester in der staatlich mandatierten Kirche des unwillkürlichen Materialismus bleiben. Ich könnte auch nach Haiti ziehen und für Sean Penn arbeiten. Ich kannte mal einen Musikvideo-Regisseur, der ihn bei einer Gartenparty in Bolinas kennengelernt hatte. Ehe ich eine Entscheidung über mein Leben nach der Werbung treffen kann, kommt die Pflegekraft ins Zimmer und macht mich vom Bett los, weil ich eine Besprechung mit dem Arzt habe.
Dr. Jaktar ist ein ganz netter Mann aus der Punjabregion in Indien. Er ist um die vierzig, hat eine Halbglatze und dicke, zusammengewachsene schwarze Augenbrauen. Beim ersten unverbindlichen Smalltalk frage ich, ob er Muslim ist, und er sagt, er sei als Muslim geboren, bei seiner Heirat aber zum Katholizismus konvertiert. Vielleicht hat er eine Krankenschwester geheiratet, die er in seiner Zeit als Arzt im Praktikum in Irland kennengelernt hat. Jaktar ist Psychiater, und er hat einige
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