Der große Blowjob (German Edition)
ihn auf der Stelle zu feuern, als er sie mir erzählte.
Henrys viertes Leben fing an, als er und Victoria nach New York umzogen, damit er sich seiner wahren Leidenschaft widmen konnte: der Kunst. Die beiden hausten in Brooklyn, vierter Stock ohne Aufzug. Victoria arbeitete in einem Bioladen und versuchte gleichzeitig, ihre Praxis für Ernährungsberatung ans Laufen zu kriegen, nur um festzustellen, dass gesunde Ernährung den New Yorkern am Arsch vorbeiging. Und auch Henry hatte nicht den Hauch einer Chance in der Kunstwelt, da er leider nicht einer wohlhabenden Familie von der Ostküste oder aus Europa entstammte und folglich nicht über die entsprechenden Verbindungen zu Leuten mit bergeweise Schotter verfügte. Und so entdeckte Henry in sich eine edle Ader, von deren Existenz er wohl selbst nichts geahnt hatte, und er beschloss, noch einmal zu studieren. Weil er Sinn für Gestaltung hatte – seine Bilder sind übrigens gar nicht übel, wenn auch seltsam verschwommen, die auf seiner Website jedenfalls –, schrieb er sich für einen dieser Graphik-Design-Studiengänge an der School of Visual Arts ein. Zwei Jahre lang studierte er Werbung und fand es schrecklich, biss aber die Zähne zusammen und zog die Sache durch, weil es nun einmal sein musste.
Im für diese Branche wirklich schon verdammt vorgerückten Alter von vierunddreißig Jahren ergattert Henry also wie durch ein Wunder einen Job als Junior Art Director hier bei Tate, und das ermöglicht ihm und Victoria endlich ein halbwegs anständiges Leben. Vierzehn Jahre später hat er es bis zum Associate Creative Director gebracht und verdient nicht schlecht, tatsächlich trägt er zum Zeitpunkt seiner Entlassung 184000 Dollar im Jahr nach Hause. Der Allstate-Versicherungen-Account war sein Baby – keine aufregende Werbung, wirklich nicht, doch dem Kunden gefallen seine verschnarchten Testimonials nun mal. Die Kampagne schneidet auch am Markt gut ab, aber das ist ja nicht der Punkt. Der Punkt ist, Henry war alt und trug Dockers-Hosen mit Bügelfalte, was ich ihm verboten hatte – aber er tat’s trotzdem.
Eröffnet wurde der Tanz mit der Mitteilung, dass er Gefahr lief, gefeuert zu werden. Ein in Personalerkreisen ganz übliches Verfahren, das ich allerdings auf eine völlig andere Ebene hob. Man konnte schlecht zu jemandem hingehen und sagen: «Egal was Sie tun – Sie fliegen in drei Monaten raus», weil der Betreffende danach im Büro noch jede Menge Ärger machen könnte, womöglich sogar eine Klage gegen die Firma anstrengen, von der negativen Energie, die er in dieser Zeit verbreitet, ganz zu schweigen. Und gleichzeitig will man auch nicht zu jemandem sagen: «Sie leisten ausgezeichnete Arbeit, machen Sie sich keine Sorgen», weil der Betreffende dann wegen rechtswidriger Entlassung, aus Altersgründen oder was auch immer, klagen könnte. Nein, man sollte anders vorgehen, rücksichtsvoll. Dem Entlassungskandidaten zunächst einen Wink geben, dass sich ein Sturm zusammenbraut, damit er Gelegenheit hat, sich nach einer anderen Stelle umzusehen (wenig wahrscheinlich, aber hoffen darf man ja), und ihm schließlich aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung, zu einem schnellen, unerbittlichen Abgang aus der Scheiß-Show verhelfen.
Eines Tages also, als ich unweit vom Aquarium, dem Großraumbüro der Kreativen, gerade auf den Aufzug wartete, stellte Henry sich neben mich, nickte mir so halb Reagan-mäßig zu und lächelte ernst. Da wusste ich, dies war der Moment, um anzufangen. Er sagte, Morgen, Eric!, oder etwas ähnlich Sinnloses. Und an jedem anderen Tag hätte ich nun gefragt, wie es mit Allstate so lief, wann war noch mal diese Kundenpräsentation? Um Interesse zu heucheln und so zu tun, als wäre ich nüchtern, als wüsste ich Bescheid und würde Anteil an dem nehmen, was verdammt noch mal in meiner Abteilung so lief. Und dann würde der Aufzug kommen, und wenn dann einer von uns nach ein paar Etagen ausstieg, würde ich zum Abschied sagen, halt mich auf dem Laufenden oder so etwas in der Art. Henry würde mit dem Gedanken den Aufzug verlassen, gerade einige wertvolle Momente mit dem Chief Ideas Officer verbracht zu haben. Wahrscheinlich würde er es sogar im Kreis seiner dümmlichen Mitarbeiter erwähnen und eine Bemerkung machen wie, na ja, Eric und ich, wir haben uns heute Morgen unterhalten etc., das klingt ja so, als fände er immer ein offenes Ohr bei mir, als wären wir ganz dicke, er und ich.
Doch jetzt stand ich einfach nur da und ignorierte
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