Der große Blowjob (German Edition)
materialistische Ideologie perpetuiert, die du angeblich so verabscheust.»
«Ach nee», versuche ich zu sagen. «Und deshalb habe ich ja gekündigt. Und darüber hinaus», fahre ich fort, «weiß ich jetzt schon, was du noch alles über mich sagen willst, weil du mich zu Tode langweilst, Seth, du ödest mich dermaßen an, dass ich dir am liebsten einen blasen würde.» Dann lache ich und boxe ihm spielerisch gegen die Schulter. Ausnahmsweise fange ich an, ihn gern zu haben. Aber Seth gibt keine Ruhe. Er lässt sich weitere fünf Minuten darüber aus, warum und aus welchen Gründen ich, menschlich gesehen, einfach das Allerletzte bin, wobei ich ihm voll und ganz zustimme. Dann verstummt er plötzlich und bricht in Tränen aus. Fängt an zu flennen, mitten im Balthazar, zur späten Frühstücks-Rushhour. Er wird von Krämpfen der Wut und Beschämung und wohl auch Reue geschüttelt, denn nichts, nichts, was ich sage, nicht mal, dass ich ihm als Zeichen emotionaler Unterstützung die Hand auf den zitternden Arm lege, kann dem Schluchzen ein Ende setzen. Tief, tief, aus allertiefster Seele heult der Mann-Junge Seth Rotz und Wasser. Ich werfe einen Hunni auf den Tisch und packe ihn am Arm. «Komm schon, du blöder Idiot», sage ich zu ihm und zerre ihn hinaus auf die Straße.
Als wir auf der Spring Street stehen, packe ich ihn an den Schultern und schüttele ihn leicht. «Reiß dich zusammen, Mann», sage ich, «komm mal runter.» Er sagt, er wüsste nicht mal, was er täte. Er ist seit Wochen total depressiv, sein Leben ist ja so sinnlos, seit seine Freundin ihn verlassen hat, und so weiter und so fort.
«Aber ich dachte, du hättest
sie
verlassen?», sage ich.
«Technisch gesehen schon», sagt er. «Technisch in dem Sinn, dass ich es war, der die Worte ‹ich mache Schluss mit dir› gesagt hat. Aber das war nur, weil ich dachte, sie wollte mich wegen dieses anderen Typen verlassen, und das konnte ich nicht ertragen. Bloß hat sich rausgestellt, sie stand überhaupt nicht auf den, aber als ich das rausfand, war es schon zu spät. Ich bin ein Feigling und ich bin ein Versager und ich habe keinen Mut, und ohne sie bin ich nichts. Das Einzige, was ich noch hatte, war mein Auto und die Hoffnung, du würdest mir einen Job besorgen. Und jetzt habe ich nicht mal mehr das Auto, und du bist gerade gefeuert worden. Scheiße!»
«Na komm», sage ich, «gehen wir was trinken.»
Wir laufen einen Block die Straße runter und gehen in die Shark Bar. Hier sind immer Leute, auch vormittags um elf, sodass wir uns nicht zu bemitleidenswert vorkommen müssen. Wir setzen uns an den Tresen. Ich sehe mich um und muss an die Geschichte denken, wie der berüchtigte Serienkiller Ted Bundy, als er verhaftet wurde und man ihn mit dem Horror seiner Verbrechen konfrontierte, ganz überrascht war, dass das irgendwen interessierte. «Es gibt doch so viele Menschen!», sagte er. «Sehen Sie sich um!» Seth und ich fangen mit Bier an, mit dem Hintergedanken, ein paar Vormittagsbierchen zu zischen, das schadet nichts, und sie dann zu Hause wegzupennen. Aber aus den Bieren werden irgendwann Whiskys, und wir saufen immer weiter. Um fünf Uhr nachmittags hat Seth mir alles über sein trauriges Leben erzählt, und er fleht mich an, ihm nur zwanzigtausend Dollar für das Auto zu geben. Er weigert sich, mehr zu nehmen, weil er wegen all der schrecklichen Dinge, die er über mich gesagt hat, ein schlechtes Gewissen hat.
«Was habe ich für ein Recht, dich zu kritisieren, ausgerechnet, du bist ein funktionierender Mensch», sagt er, «du hast richtig was drauf!» Dann beichtet er mir, dass er meinen Wikipedia-Eintrag geschrieben hat, auf Grundlage all der Sachen, die ich ihm über die Jahre, wenn ich besoffen war, erzählt hatte. Ich lache und sage, war doch keine große Sache, das Ganze, tatsächlich war es sogar ziemlich lustig, und wenn ich noch einen Job hätte, würde ich ihn vom Fleck weg einstellen. Dann denken wir uns einen Plan für ihn aus: Er hackt die Wikipedia-Artikel aller Top-Creative-Directors in New York. Er filmt die Aktion per Handy und postet das Video auf AdRanter, und schon wird er sich vor Job-Angeboten kaum retten können.
Dann fängt er wieder von seinen Depressionen an, dass er vielleicht Hilfe in einer Klinik suchen sollte, es ist wirklich übel, er weiß nicht, was er tun soll. Dabei streicht er über den Umschlag in seiner Jackentasche, in dem sich sein Geld abzüglich der fünftausend Dollar befindet, die ich rausgenommen
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