Der große Blowjob (German Edition)
nicht.
«Henry», sage ich, wechsle den Gang. «Wie geht’s?»
«Nicht schlecht, und dir?», sagt er. Ich wahre vorsorglich Abstand, da ich an seiner Stelle mir jetzt eine reinhauen würde. Aber ein Mann, der Arbeit braucht, leistet sich wohl solche Gedanken nicht, wenn er seinem früheren Chef begegnet.
«Ich wollte dir eine Mail schicken», sage ich, «aber sie haben meinen Account gesperrt. Ich wollte dir sagen, dass es, äh, ziemlich Scheiße war, was da gelaufen ist, und es tut mir, äh, leid, was passiert ist.»
«Ja, klar, Mann», sagt er halbherzig.
«Sie haben mich auch rausgeworfen, weißt du», erzähle ich ihm. «Vor ein paar Tagen erst.» Würde so ein Mensch sprechen? Ja, könnte schon sein, überlege ich.
«Ja, habe ich auf AgencySpy gesehen», sagt er. Ich schaue hinab auf seine Füße. Er hat sich neue Stiefel von John Fluevog gekauft: kann sein, dass der Mann sich zu verjüngen versucht. Es kann auch sein, dass er sich nun die Haare färbt, das kann ich bei diesem Licht schlecht sagen.
«Wie sieht’s aus da draußen?», frage ich ihn, schließlich verbindet uns arbeitslose Kreative ja etwas.
«Schwieriger Markt, weißt du», sagt er achselzuckend. «Schwieriger Markt.» Ich erwidere sein Achselzucken, und wir lachen zusammen. Oder ich sollte sagen, dass ich lache, in der Hoffnung, er lacht mit.
«Falls ich von irgendwas höre, gebe ich dir Bescheid», sage ich. Noch immer sagt er nichts. Dann frage ich ihn, ob er Lust hat, was essen zu gehen.
«Jetzt?», sagt er und sieht auf seine Uhr.
«Warum nicht?», sage ich. «Ich lade dich ein.»
Ich stehe da und warte auf seine Antwort. Er sieht sich um, als rechne er damit, jemanden auf der Straße zu sehen, den er kennt, aber das tut er nicht, und dann lächelt er, mehr zu sich selbst als mir zuliebe, wie mir scheint. Er grunzt leise, eine seltsame Art angstvolles Grunzen. Dann sieht er mich an, und ich denke, er will was sagen, er holt Luft, um dann gleich zu sprechen. Dann sehe ich, wie seine Hand in seine Jackentasche gleitet und wieder herauskommt, mit etwas, das eine Sekunde lang aussieht wie eine Pistole, und einen Nanomoment später wird mir etwas sehr Interessantes klar: Es
ist
eine Pistole. Eine Beretta Tomcat, Kleinkaliber, mit Magazinauswurf und extraglattem Design, das schnelles Präsentieren ermöglicht, wurde mir später erklärt.
Er schüttelt sie und präsentiert sie mir.
«Henry», sage ich. «Was soll das?» Ich lache das Lachen von jemandem, der nicht ganz fassen kann, dass er vor einem verzweifelten Mann mit einer Pistole steht.
«Scheiß auf dich, Eric», sagt er. «Du bist eine Fotze.»
«Ich weiß», sage ich. «Das weiß ich doch. Das weiß jeder. Komm, gehen wir essen.»
Einen Augenblick lang denke ich, es hat funktioniert, dass er die Pistole wieder einsteckt, oder dass ich sie mir bloß eingebildet habe. Dass er nie eine Pistole in der Hand hatte, sondern dass es ein Telefon war.
Aber dann zieht er den Abzug der Waffe durch. Der Abzug schlägt gegen das Zündhütchen, und das Zündhütchen explodiert in dem engen Lauf und lässt die Hornady-V-Max-Patrone Kaliber . 17 auf mich zurasen. Die winzige Armierung trifft mich in die rechte Seite meiner Schulter, und ich werde ein paar Fuß zurückgestoßen, aber nicht zu Boden.
Eine zweite Explosion erfolgt, und ich spüre nichts. Das könnte durch den Umstand erklärt werden, dass mich die Kugel ins Gesicht getroffen und meinen Kopf gesprengt hat, ehe ich noch etwas spüren kann, aber das ist nicht der Fall: Ich spüre nichts, weil er danebengeschossen hat. Wobei es in meinen Ohren allerdings klingelt.
Dann feuert er noch mal, und aller guten Dinge sind drei, die V-Max trifft mich links vom Solarplexus, ein guter Treffer, und als ich hinfalle, und als Henry Graham auf dem Gehweg davonrennt, flüchten Leute in alle Richtungen, mein Kopf knallt aufs Pflaster, und ich werde ohnmächtig.
Ich bin, wie ich mir das später zusammenreime, etwa zehn oder elf Sekunden lang weg. Als ich wieder zu mir komme und mich umsehe, ist Henry verschwunden, und da sind Leute, die schreien und mich fragen, ob ich am Leben bin. Und dann sind da Sirenen, und Cops, mehr Geschrei, mehr Sirenen, ein Rettungssanitäter mit Plastikhandschuhen, mit denen er aussieht, als würde er in einem Imbisswagen arbeiten, was er in gewisser Weise ja auch tut. Und dann bin ich in Bewegung, da sind Türen, Flure, Männer in blauen Hemden, die mir Fragen stellen, Männer mit weißen Masken, die miteinander
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