Der große Blowjob (German Edition)
schüttelt, und sagt, dass es die kleinen Geschenke sind, mit denen wir Fremden eine Freude machen, die letzten Endes zeigen, wer wir wirklich sind. Ich stimme ihm zu, sage, ist das nicht das tiefe Irgendwas oder so, nach dem wir uns alle sehnen im Grunde? Und er lacht, als wüsste er, was ich meine, und klopft mir auf die Schulter. Also beschließe ich, ihm meine eigene Geschichte zu erzählen: dass ich in Wirklichkeit in der Werbung arbeite, aber gefeuert wurde, und dass ich gerade ganz allein nach Chicago fahre, um dort mein neues Leben zu beginnen, das wahrscheinlich kaum anders wird als mein altes, aber wer weiß. Er nickt, als spürte er, dass die Geschichte damit noch nicht zu Ende ist. Und so erzähle ich ihm die ganze traurige Geschichte eines Mädchens namens Sabine, genannt Sabi, von Anfang an, und wie toll sie war, jetzt, wo ich darüber nachdenke. Als ich zu dem Teil mit der Paranoia und den Panikattacken und dem Irrenarzt in der psychiatrischen Abteilung in Santa Monica komme, der mich nach meiner Familie fragte, unterbricht Frank mich und fragt, warum ich eigentlich davor, als ich bei dem anderen Psychiater war, bei diesem Betrüger, so eine bekloppte Lüge vom Stapel gelassen habe, dass meine Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist? Und dann erzähle ich es ihm einfach, diesem Frank, diesem waschechten Amerikaner. Ich erzähle ihm alles, die Geschichte jenes Sommers, als ich dreizehn war und wir in einem Haus nur ein Stück weiter die Straße hoch wohnten, das jetzt nur noch ein Loch ist. Wie sie als manisch-depressiv diagnostiziert worden war, meine Mutter, und wie ich mich an einige der Sachen erinnere, die sie sich leistete, und wie mein Vater für sie oder die Gründe für ihr Verhalten kein Verständnis aufbrachte, nicht, dass er es überhaupt versucht hätte, und es gab damals noch nicht die Medikamente wie heute. Wie sie es dreimal versucht hat, oder zweimal, genau genommen, weil sie beim dritten Versuch Erfolg hatte, und wie ich sie oben gefunden habe, vornübergesunken in der Ecke des Gäste-Klos, und wie mir aufgefallen ist, dass sie das Blut von den (importierten) Bodenfliesen in Luna Grigio mit einem (monogrammbestickten, importierten) puderblauen Saint-Etienne-Badelaken aufzuwischen versucht hat. Und wie sie das zum Schluss weinrote Tuch unters Waschbecken geworfen hat. Warum wollte sie noch den Boden von ihrem Blut säubern? Bereute sie bei ihrem letzten Atemzug, was sie getan hatte? Oder nur, dass sie dabei eine solche Sauerei veranstaltet hatte? Hatte sie eine Ahnung, dass ich sie dort finden würde, und dachte sie etwa, es würde die Wirkung irgendwie abmildern, wenn der Boden sauber(er) ist? Frank antwortet nicht darauf, er starrt mich bloß an, und dann bricht er in Gelächter aus, bei dem er klumpenweise Schleim und Katzenhaare und Hühnerknochen und wer weiß was noch alles hochrasselt. Sagt, dass er denkt, dass ich ihn nur verarsche, und statt dem Abend einen Dämpfer zu verpassen oder ihm zu gestehen, dass ich diese Geschichte noch nie jemandem erzählt habe, zumindest noch nie so jedenfalls, sage ich bloß: Genau, Frank, Kumpel, hast recht, Alter, ich erzähl gern Scheiße, aber dir kann man ja nichts vormachen. Er lacht und klopft mir noch mal auf die Schulter, als wären wir Brüder in Schande und Kampf, und steht auf und geht pinkeln. In der Zeit haue ich ab.
Ehe ich meine Tour auf der Interstate fortsetze, fahre ich am nächsten Morgen vom Hotel aus noch mal zur Federal Street, um mich bei Tageslicht dort umzusehen. Ich krame meine Leica-S 2 -Digitalkamera aus meinem Koffer und kurve durch die Straßen und fotografiere die leeren Ladenlokale, aufgegebenen Kirchen und vernagelten Häuser und kleinen Produktionsbetriebe an den Bahngleisen. An einer markanten Ecke stoße ich auf ein gigantisches altes Kino, das Warner, das offensichtlich seit Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb ist. Ich parke davor und sehe mich um. Da die Sperrholzplatten vor der Eingangstür aufgehebelt sind, hausen hier wohl Menschen. Ich hatte schließlich eine ganze Reihe, dem Aussehen nach, ehemaliger Psychiatrie-Insassen gesehen, die sich hier durch die Straßen schleppten. Mit ihrem zerzausten weißen Haar und den Zottelbärten und den Selbstgesprächen sind sie den Leuten mit Ohrstöpseln nicht unähnlich, die über Android telefonieren, und ich vermutete, dass zumindest ein Teil dieser Bevölkerung hier im Warner wohnt. Ich gehe vorsichtig hinein, meine Kamera sicher verborgen in der
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