Der große deutsche Märchenschatz
ihn am Kragen, schüttle ihn und sage: âºSiehst du, wie hübsch du nun zappelst, du Hampelmann!â¹ Dann wacht er auf, klappert mit den Zähnen und ruft: âºFrau, bring mir noch ein Deckbett, mich friert!â¹ Und wenn er wieder eingeschlafen ist, mache ichâs aufs Neue!«
Als Traumjörge dies gehört, drängte er sich mit Gewalt zur Tür hinaus, den König nach sich ziehend, und rief: »Nicht einen Augenblick länger bleibe ich hier bei den bösen Träumen. Das ist ja entsetzlich!«
Der König führte ihn nun in einen prächtigen Garten, wo die Wege von Silber, die Beete von Gold und die Blumen von geschliffenen Edelsteinen waren. In dem gingen die guten Träume spazieren. Das erste, was er sah, war ein Traum wie eine junge blasse Frau, die hatte unter dem einen Arme eine Arche Noah und unter dem anderen einen Baukasten.
»Wer ist denn das?«, fragte der Traumjörge.
»Die geht abends immer zu einem kleinen kranken Knaben, dem seine Mutter gestorben ist. Am Tag ist er ganz allein, und niemand bekümmert sich um ihn; aber gegen Abend geht sie zu ihm, spielt mit ihm und bleibt die ganze Nacht. Er schläft immer schon sehr früh ein, deshalb geht sie auch so zeitig. Die andern Träume gehen viel später. â Komm nur weiter; wenn du alles sehen willst, müssen wir uns sputen!«
Darauf gingen sie tiefer in den Garten hinein, mitten unter die guten Träume. Es waren Männer, Frauen, Greise und Kinder, alle mit lieben und guten Gesichtern und in den schönsten Kleidern. In den Händen trugen viele von ihnen alle möglichen Dinge, die sich das Herz nur wünschen kann. â Auf einmal blieb Traumjörge stehen und schrie so laut, dass alle Träume sich umdrehten.
»Was hast du denn?«, fragte der König.
»Das ist ja meine Prinzessin, die mir so oft erschienen ist und mir die Rosen geschenkt hat!«, rief der Traumjörge ganz entzückt aus.
»Freilich, freilich!«, erwiderte jener. »Das ist sie. Nicht wahr, ich habe dir immer einen sehr hübschen Traum geschickt? Es ist beinahe der hübscheste, den ich habe.«
Da lief der Traumjörge auf die Prinzessin zu, die gerade wieder auf ihrer kleinen goldenen Schaukel saà und sich schaukelte. Sobald sie ihn kommen sah, sprang sie herab und ihm gerade in die Arme. Er aber nahm sie an der Hand und führte sie an eine goldene Bank. Da setzten sich beide hin und erzählten sich, wie hübsch es wäre, dass sie sich wiedersähen. Und wenn sie damit fertig waren, fingen sie immer wieder von vorne an. Der König der Träume aber ging mittlerweile fortwährend auf dem groÃen Wege, der gerade durch den Garten ging, auf und ab, die Hände auf dem Rücken, und zuweilen nahm er die Uhr heraus und sah nach, wie spät es wäre, weil der Traumjörge und die Prinzessin immer noch nicht mit dem fertig waren, was sie sich zu erzählen hatten. Zuletzt ging er jedoch wieder zu ihnen und sagte: »Kinder, nun ist es gut! Du, Traumjörge, hast noch weit zu Hause, und über Nacht kann ich dich nicht hierbehalten, denn ich habe keine Betten, weil nämlich die Träume nicht schlafen, sondern nachts immer zu den Menschen auf die Erde hinaufgehen müssen; und du, Prinzesschen, du musst dich fertigmachen. Zieh dich heute einmal ganz rosa an, und nachher komm zu mir, damit ich dir sage, wem du heute erscheinen und was du ihm sagen sollst.«
Als dies der Traumjörge gehört, ward es ihm auf einmal so mutig ums Herz wie noch nie in seinem Leben. Er stand auf und sagte mit fester Stimme: »Herr König, von meiner Prinzessin lassâ ich nun und nimmermehr. Entweder Ihr müsst mich hier unten behalten, oder Ihr müsst mir sie mit auf die Erde geben. Ich kann ohne sie nicht leben, dazu habe ich sie viel zu lieb!« Dabei trat ihm in jedes Auge eine Träne, so groà wie eine Haselnuss.
»Aber Jörge, Jörge«, erwiderte der König, »es ist ja der allerhübscheste Traum, den ich habe! Doch du hast mir das Leben gerettet, so sei es denn. Nimm deine Prinzessin und steige mit ihr hinauf zur Erde. Sobald du oben angelangt bist, so nimm ihr den silbernen Schleier vom Kopf und wirf ihn mir durch die Falltüre wieder herab. Dann wird deine Prinzessin von Fleisch und Blut wie ein anderes Menschenkind sein; denn jetzt ist es ja nur ein Traum!«
Da bedankte sich Traumjörge auf das Herzlichste und sagte:
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