Der große deutsche Märchenschatz
wie ein Feuer durch das Dorf, dass der Traumjörge wiedergekommen sei und sich eine Frau mitgebracht habe. »Das wird auch etwas Gescheites sein«, sagten die Leute. »Ich habe sie heute früh schon gesehen«, fiel einer von den Bauern ins Wort, »als ich in den Wald ging. Sie stand mit ihm vor der Türe. Es ist nichts Besonderes, eine ganz gewöhnliche Person, klein und schmächtig. Ziemlich ärmlich war sie auch angezogen. Wo sollâs denn am Ende auch herkommen! Er hat nichts, da wird sie wohl auch nichts haben!«
So schwatzten sie, die dummen Leute; denn sie konnten es nicht sehen, dass es eine Prinzessin war. Und dass das Häuschen sich in ein groÃes, wundervolles Schloss verwandelt hatte, bemerkten sie in ihrer Einfalt auch nicht, denn es war eben ein unsichtbares Königreich, was dem Traumjörge vom Himmel heruntergefallen war. Aus diesem Grunde bekümmerte er sich auch um die dummen Leute gar nicht, sondern lebte in seinem Königreiche und mit seiner lieben Prinzessin herrlich und vergnügt. Und er bekam sechs Kinder, eins immer schöner wie das andere, und das waren lauter Prinzen und Prinzessinnen. Niemand aber wusste es im Dorf, denn das waren ganz gewöhnliche Leute und viel zu einfältig, um es einzusehen.
Die drei Schwestern
mit den gläsernen Herzen
Es gibt Menschen mit gläsernen Herzen. Wenn man leise daran rührt, klingen sie so fein wie silberne Glocken. StöÃt man jedoch derb daran, so gehen sie entzwei.
Da war nun auch ein Königspaar, das besaà drei Töchter, und alle drei hatten gläserne Herzen. »Kinder«, sagte die Königin, »nehmt euch mit euren Herzen in acht, sie sind eine zerbrechliche Ware!« Und sie taten es auch.
Eines Tages jedoch lehnte sich die älteste Schwester zum Fenster hinaus über die Brüstung und sah hinab in den Garten, wie die Bienen und Schmetterlinge um die Levkojen flogen. Dabei drückte sie sich ihr Herz: kling! ging es, wie wenn etwas zerspringt, und sie fiel hin und war tot.
Wieder nach einiger Zeit trank die zweite Tochter eine Tasse zu heiÃen Kaffee. Da gab es abermals einen Klang, wie wenn ein Glas springt, nur etwas feiner als das erste Mal, und auch sie fiel um. Da hob sie ihre Mutter auf und besah sie, merkte aber bald zu ihrer Freude, dass sie nicht tot war, sondern dass ihr Herz nur einen Sprung bekommen hatte, jedoch noch hielt.
»Was sollen wir nun mit unserer Tochter anfangen?«, ratschlagten der König und die Königin. »Sie hat einen Sprung im Herzen, und wenn er auch nur fein ist, so wird es doch leicht ganz entzweigehen. Wir müssen sie sehr in acht nehmen.«
Aber die Prinzessin sagte: »Lasst mich nur! Manchmal hält das, was einen Sprung bekommen hat, nachher gerade noch recht lange!«
Indessen war die jüngste Königstochter auch groà geworden und so schön, gut und verständig, dass von allen Seiten Königssöhne herbeiströmten und um sie freiten. Doch der alte König war durch Schaden klug geworden und sagte: »Ich habe nur noch eine ganze Tochter, und auch die hat ein gläsernes Herz. Soll ich sie jemandem geben, so muss es ein König sein, der zugleich Glaser ist und mit so zerbrechlicher Ware umzugehen versteht.« Allein es war unter den vielen Freiern nicht einer, der sich gleichzeitig auf die Glaserei gelegt hätte, und so mussten sie alle wieder abziehen.
Da war nun unter den Edelknaben im Schloss des Königs einer, der war beinahe fertig. Wenn er noch dreimal der jüngsten Königstochter die Schleppe getragen hatte, so war er Edelmann. Dann gratulierte ihm der König und sagte ihm: »Du bist nun fertig und Edelmann. Ich danke dir. Du kannst gehen.«
Als er nun das erste Mal der Prinzessin die Schleppe trug, sah er, dass sie einen ganz königlichen Gang hatte. Als er sie ihr das zweite Mal trug, sagte die Prinzessin: »Lass einmal einen Augenblick die Schleppe los, gib mir deine Hand und führe mich die Treppe hinauf, aber fein zierlich, wie es sich für einen Edelknaben, der eine Königstochter führt, schickt.« Als er dies tat, sah er, dass sie auch eine ganz königliche Hand hatte. Sie aber merkte auch etwas; was es aber war, will ich erst nachher sagen. Endlich, als er ihr das dritte Mal die Schleppe trug, drehte sich die Königstochter um und sagte zu ihm: »Wie reizend du mir meine Schleppe trägst! So reizend hat sie mir noch keiner getragen.« Da
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