Der große deutsche Märchenschatz
merkte der Edelknabe, dass sie auch eine ganz königliche Sprache führte. Damit war er nun aber fertig und Edelmann. Der König dankte und gratulierte ihm und sagte, er könne nun gehen.
Als er ging, stand die Königstochter an der Gartentüre und sprach zu ihm: »Du hast mir so reizend die Schleppe getragen wie kein anderer. Wenn du doch Glaser und König wärst!«
Darauf antwortete er, er wolle sich alle Mühe geben, es zu werden; sie möge nur auf ihn warten, er käme gewiss wieder.
Er ging also zu einem Glaser und fragte ihn, ob er nicht einen Glaserjungen gebrauchen könne. »Jawohl«, erwiderte dieser, »aber du musst vier Jahre bei mir lernen. Im ersten Jahr lernst du die Semmeln vom Bäcker holen und die Kinder waschen, kämmen und anziehen. Im zweiten lernst du die Ritzen mit Kitt verschmieren, im dritten Glas schneiden und einsetzen, und im vierten wirst du Meister.«
Darauf fragte er den Glaser, ob er nicht von hinten anfangen könne, weil es dann doch schneller ginge. Indes der Glaser bedeutete ihm, dass ein ordentlicher Glaser immer von vorn anfangen müsse, sonst würde nichts Gescheites daraus.
Damit gab er sich zufrieden. Im ersten Jahre holte er also die Semmeln vom Bäcker, wusch und kämmte die Kinder und zog sie an. Im zweiten verschmierte er die Ritzen mit Kitt, im dritten lernte er Glas schneiden und einsetzen, und im vierten Jahre wurde er Meister. Darauf zog er sich wieder seine Edelmannskleider an, nahm Abschied von seinem Lehrherrn und überlegte sich, wie er es anfinge, um nun auch noch König zu werden.
Während er so auf der StraÃe, ganz in Gedanken versunken, einherging und aufs Pflaster sah, trat ein Mann an ihn heran und fragte, ob er etwas verloren habe, dass er immer so auf die Erde sähe. Da erwiderte er: verloren habe er zwar nichts, aber suchen täte er doch etwas, nämlich ein Königreich; und fragte ihn, ob er nicht wisse, was er zu beginnen habe, um König zu werden.
»Wenn du ein Glaser wärst«, sagte der Mann, »wüsste ich schon Rat.«
»Ich bin ja gerade ein Glaser!«, antwortete er, »und eben fertig geworden!«
Als er dies gesagt, erzählte ihm der Mann die Geschichte von den drei Schwestern mit den gläsernen Herzen und wie der alte König durchaus seine Tochter nur einem Glaser vermählen wolle. »Anfangs«, so sprach er, »war noch die Bedingung, dass der Glaser, der sie bekäme, auch noch ein König oder ein Königssohn sein müsse; weil sich aber keiner finden will, der alles beides ist, Glaser und König zugleich, so hat er etwas nachgegeben, wie es der Klügste immer tun muss, und zwei andere Bedingungen gestellt. Glaser muss er freilich immer noch sein, dabei bleibt es!«
»Welches sind denn die beiden Bedingungen?«, fragte der junge Edelmann.
»Er muss der Prinzessin gefallen und Samtpatschen haben. Kommt nun ein Glaser, welcher der Prinzessin gefällt und auch Samtpatschen hat, so will ihm der König seine Tochter geben und ihn später, wenn er tot ist, zum König machen. Es sind nun auch schon eine Menge Glaser auf dem Schloss gewesen, aber der Prinzessin wollte keiner gefallen. AuÃerdem hatten sie auch alle keine Samtpatschen, sondern grobe Hände, wie das von gewöhnlichen Glasern nicht anders zu erwarten ist.«
Als dies der junge Edelmann vernommen, ging er ins Schloss, entdeckte sich dem König, erinnerte ihn daran, wie er bei ihm Edelknabe gewesen sei, und erzählte ihm, dass er seiner Tochter zuliebe Glaser geworden und sie nun gar gern heiraten und nach seinem Tode König werden wolle.
Da lieà der König die Prinzessin rufen und fragte sie, ob der junge Edelmann ihr gefiele, und als sie dies bejahte, weil sie ihn gleich erkannte, sagte er dann weiter, er solle nun auch seine Handschuhe ausziehen und zeigen, ob er auch Samtpatschen habe. Aber die Prinzessin meinte, dies sei unnötig, sie wisse es ganz genau, dass er wirklich Samtpatschen habe. Sie hätte es schon damals gemerkt, als er sie die Treppe hinaufgeführt hätte.
So waren denn beide Bedingungen erfüllt, und da die Prinzessin einen Glaser zum Mann bekam und noch dazu einen mit Samtpatschen, so nahm er ihr Herz sehr in acht, und es hielt bis an ihr seliges Ende.
Die zweite Schwester aber, welche schon den Sprung hatte, wurde die Tante, und zwar die allerbeste Tante der Welt. Dies versicherten nicht bloà die Kinder,
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