Der große deutsche Märchenschatz
vergeblich.
»Du hast mir meine Liebe gestohlen und mich um mein Herz betrogen!«, sagte sie. »Ich werde nie wieder froh werden!«
Da fragte er sie, ob sie ihn denn nicht lieb hätte, so lieb wie keinen andern Menschen auf der Welt, und ob sie nicht zufrieden und glücklich miteinander gelebt hätten wie niemand weiter im Dorf. Sie musste alles zugeben, aber sie blieb traurig wie zuvor, trotz allem Zureden.
Da dachte er: Lass sie ausweinen! Ãber Nacht kommen andere Gedanken; morgen ist sie die alte. Doch er täuschte sich; denn am andern Morgen weinte die Frau zwar nicht mehr, aber sie war ernst und traurig und ging ihrem Mann aus dem Wege. Jeder Versuch, sie zu trösten, scheiterte wie am Abend zuvor. Den gröÃten Teil des Tages saà sie in einer Ecke und grübelte, und wenn ihr Mann hereintrat, schreckte sie zusammen.
Als dies mehrere Tage gedauert, ohne dass eine Ãnderung eintrat, befiel auch ihn eine groÃe Traurigkeit; denn er fürchtete, er hätte die Liebe seiner Frau auf immer verloren. Er ging still im Hause umher und sann auf Abhilfe, doch es wollte ihm nichts einfallen. Da ging er eines Mittags zum Dorfe hinaus und schlenderte durchs Feld. Es war ein heiÃer Julitag; keine Wolke am Himmel. Die reife Saat wogte wie ein goldener See, und die Vögel sangen; doch sein Herz war voller Bekümmernis. Da sah er von fern die alte Traumbuche stehen: Wie eine Königin der Bäume ragte sie hoch in den Himmel hinein. Es kam ihm vor, als wenn sie ihm mit ihren grünen Zweigen zuwinkte und wie eine alte Freundin zu sich riefe. Er ging hin und setzte sich unter sie und dachte an die vergangene Zeit. Fünf Jahre waren ziemlich genau verflossen, seit er als ein armer Teufel zum ersten Male unter ihr geruht und so schön geträumt hatte. Ach so wunderschön! Und der Traum hatte fünf Jahre gedauert. â Und nun? Alles vorbei! Alles vorbei? Auf immer?
Da fing die Buche wieder zu rauschen an, wie vor fünf Jahren, und bewegte ihre mächtigen Zweige. Und wie sie dieselben bewegte, lieà sie wie damals bald hier, bald dort einen feinen glitzernden Sonnenstrahl durchfallen und bald hier, bald da ein Stückchen blauen Himmel durchscheinen. Da wurde sein Herz stiller, und er schlief ein; denn er hatte vor Sorge die vorhergehenden Nächte nicht geschlafen. Und nicht lange, so träumte er denselben Traum wie vor fünf Jahren, und die Frau am Tisch und die spielenden Kinder hatten die alten, lieben Gesichter von seiner Frau und von seinen Kindern. Und die Frau sah ihn so freundlich an â ach, so freundlich.
Da wachte er auf, und als er sah, dass es nur ein Traum war, ward er noch trauriger. Er brach sich einen grünen Zweig ab von der Buche, ging nach Haus und legte ihn ins Gesangbuch. Als die Frau am nächsten Tage â es war gerade Sonntag â in die Kirche gehen wollte, fiel der Zweig heraus. Da wurde der Mann, der danebenstand, rot, bückte sich und wollte ihn in die Tasche stecken. Doch die Frau sah es und fragte, was es für ein Blatt sei.
»Es ist von der Traumbuche; sie meint es besser mit mir als du!«, erwiderte der Mann. »Denn als ich gestern drauÃen war und unter ihr saÃ, schlief ich ein. Da wollte sie mich wohl trösten; denn mir träumte, du wärest wieder gut und hättest alles vergessen. Aber es ist nicht wahr! Es ist nichts mit der alten guten Buche. Ein schöner herrlicher Baum ist sie schon, aber von der Zukunft weià sie nichts.«
Da starrte ihn die Frau an, und dann ging es wie ein Sonnenschein über ihr Gesicht: »Mann, hast du das wirklich geträumt?«
»Ja!« entgegnete er fest, und sie merkte, dass es die Wahrheit war; denn er zuckte mit dem Gesicht, weil er nicht weinen wollte.
»Und ich war wirklich deine Frau?«
Als er auch dies bejahte, fiel ihm die Frau um den Hals und küsste ihn so oft, dass er sich ihrer gar nicht erwehren konnte. »Gelobt sei Gott«, sagte sie, »nun ist alles wieder gut! Ich habe dich ja so lieb â so lieb, wie du es gar nicht weiÃt! Und ich habe die Tage solche Angst gehabt, ob ich dich denn auch wirklich liebhaben dürfte und ob mir nicht Gott eigentlich einen anderen Mann bestimmt hatte. Denn mein Herz gestohlen hast du mir doch, du böser Mann, und ein bisschen Betrug war doch dabei! â Ja, gestohlen hast du mirâs; aber nun weià ich doch, dass es dir nichts geholfen hat und dass es auch ohnedem so
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