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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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der Wald aufhörte, und von der Bergeshöhe blickte es hinab ins weite Land. So einen herrlichen Anblick hatte es noch nie gehabt. Dort unten in der weiten Ebene lagen Städte, Dörfer und einzelne Häuser, die ihm vorkamen wie unsern Kindern die Häuschen in der Schachtel, welche der Weihnachtsmann bringt. Als es nun gerade vor sich hinab ins Tal sah, bemerkte es auf einem Acker einen Mann, der ihm auch sehr klein und niedlich zu sein schien. Dieser Mann ging hinter einem Pflug her, welcher von einem Pferde und einem Ochsen gezogen wurde und rief immer mit seiner Stimme – wenigstens glaubte das Riesenmädchen, sie sei sein –: »Hü! Hott! Hü! Hott!« Es hatte einen Bauern erblickt, der seinen Acker pflügte, und da es gewöhnliche Menschen überhaupt noch nicht gesehen hatte, klatschte es vor Freude in die Hände und rief: »Oh, welch ein schönes Spielzeug! Das muss ich haben! Das nehme ich mir mit nach Hause!« Und mit wenigen Sprüngen eilte es den Berg hinab, kniete vor dem erstaunten Bauern nieder und schob Mann, Pflug, Pferd und Ochsen in die ausgebreitete Schürze. Und obgleich die Überraschten sich in der Schürze tüchtig wehrten und eifrig bemüht waren, wieder in Freiheit zu kommen, konnten sie doch nichts ausrichten; denn das Kind hielt die Schürze kräftig zu und eilte, so schnell es konnte, zur väterlichen Burg.
    Der Burgherr stand gerade am Fenster, als sein Töchterlein mit gerötetem Gesicht durchs Burgtor kam. Als das Kind den Vater sah, jauchzte es ihm in heller, lauter Freude entgegen und stürmte jubelnd ins Zimmer. Der Vater fragte: »Was für große Freude hast du und was bringst du da Zappeliges in deiner Schürze?« – »Ein Spielzeug, wie ich noch keins gesehen habe!«, rief das Mädchen, damit breitete es die Schürze auf dem Tisch aus und stellte Bauer, Pflug, Pferd und Ochsen auf. Der Bauer pustete, Pferd und Ochse schüttelten sich, alle froh, dass sie aus der unangenehmen Umhüllung heraus waren.
    Ein Wunder war es nur, dass ihnen bei dem Zusammen- und Übereinanderliegen, bei dem durch das schnelle Laufen des Kindes verursachten Schütteln und Stoßen die Glieder heil und ganz geblieben waren. Als sich nun der Bauer, sobald er zu Atem gekommen war, wieder um sein Gespann bekümmerte, die Tiere streichelte und ihnen die Geschirre zurechtlegte, da kannte die Freude des Mädchens keine Grenzen mehr. Wieder klatschte es jubelnd in die Hände und wollte den Vater auf alle Einzelheiten der heimgebrachten Spielsachen aufmerksam machen. Der Vater sah aber nur dem Treiben des Kindes eine kleine Weile mit ernster Miene zu, dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Du hast, ohne dass du es weißt, etwas recht Törichtes angerichtet. Was du da gebracht, ist kein Spielzeug. Du hast den fleißigen Bauern mit Pflug und Gespann von seinem Felde hinweggenommen. Dort hat er gearbeitet für unser Wohl; denn nur, weil er den Acker pflügt und den Samen darauf streut, wächst auf demselben das Korn zu unserm Brot. Wäre der Bauer nicht so fleißig, so hätten wir nichts zu essen. Der Bauer ist kein Spielzeug. Packe alles recht behutsam ein und trage es wieder an die Stelle, wo du es gefunden hast!«
    Das Mädchen war darüber sehr traurig, denn es hätte das Spielzeug gar zu gerne behalten; da es aber ein wohlerzogenes Kind war, gehorchte es dem Vater, legte sachte Bauer, Pferd, Ochs und Pflug in die Schürze und trug alles wieder auf das Feld. Dort hatte sich der Bauer bald von seinem Schrecken erholt; er spannte Pferd und Ochsen wieder an den Pflug, und als das Mädchen langsam heimwärts wanderte, hörte es wieder die Stimme des fleißigen Landmanns erschallen, der seine Tiere antrieb mit lautem »Hü! Hott! Hü! Hott!«.

Die barmherzige Kaiserin
    Eine der schönsten und lieblichsten Fürstinnen, die je auf deutschen Thronen gesessen haben, war Editha, die Gemahlin des Kaisers Otto I. So schön und anmutig ihre Gestalt war, so liebevoll und gütig waren auch ihr Herz und Gemüt. Sie sorgte nicht nur in Liebe für ihre nächsten Angehörigen, sondern auch für alle Notleidenden, von deren Elend sie erfuhr, und ihre liebste Beschäftigung war es, Arme und Kranke zu besuchen und zu pflegen; diese wussten denn auch gar bald den Weg zu ihr zu finden. Kein Armer ging ohne Gabe, kein Kranker ohne Stärkung und Trost von ihr, und

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