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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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dem Alten immer in die Ohren: »Du bist alt und kannst leicht sterben, was soll ich dann anfangen, wenn du tot bist? Ich werde hier ja ganz allein in diesem großen Walde sein.« Da ward der alte Mann verdrießlich und sagte: »Du brauchst gar nicht in Angst zu sein, ich kann nicht sterben, denn ich habe kein Herz, aber wenn ich sterben sollte, dann liegen über der Haustür die zwölf grauen Steine und dabei ein kleiner weißer Stock; schlägst du mit diesem Stock an die Steine, so wirst du deine Schwestern und ihre Verlobten wieder lebendig haben.« Das Mädchen gab sich nun erst zufrieden, dann aber fragte sie ihn, wenn sein Herz nicht in der Brust wäre, wo er es denn hätte? »Kind«, sagte der Alte, »sei nicht so neugierig, du kannst nicht alles wissen.« Aber sie ließ nicht nach mit Bitten und Fragen, bis er etwas unwillig sagte: »Nun, damit du nur Ruhe hältst, so sage ich dir, mein Herz sitzt in der Bettdecke.«
    Nun pflegte der alte Mann des Morgens in den Wald zu gehen und erst abends wiederzukommen; dann musste seine junge Haushälterin das Essen für ihn bereit haben. Als er nun am Abend danach nach Hause kam, da fand er seine Bettdecke mit allerlei schönen Federn und kleinen Blumen über und über besteckt und geziert; da fragte er das Mädchen, was denn das bedeuten solle? »Ach Vater«, antwortete sie, »ich muss ja den ganzen Tag allein sein und kann dir nichts zu Liebe tun, so wollte ich doch deinem Herzen eine Freude machen, das, wie du sagst, in der Bettdecke steckt.« – »Kind«, sagte der Alte und lachte, »es war ja nur ein Scherz von mir, mein Herz ist lange nicht in der Bettdecke, das ist ganz anderswo.«
    Da fing sie wieder an zu weinen und zu klagen: »Also hast du doch ein Herz in der Brust und kannst sterben, was soll ich dann anfangen und wie bekomme ich die Meinigen wieder, wenn du tot bist?« – »Was ich dir sage, liebes Kind«, antwortete der alte Mann, »sterben kann ich nicht und habe gewiss kein Herz in der Brust, aber wenn ich sterben sollte, was doch nicht möglich ist, so liegen ja die Steine über der Haustür und dabei ein kleiner weißer Stock; damit kannst du ja nur, wie ich dir schon einmal sagte, an die Steine schlagen, so hast du alle die Deinen wieder!« Aber da bat und flehte sie ihn abermals so lange, wo er denn sein Herz hätte, bis er denn sagte, es sitze in der Stubentür.
    Nun schmückte sie am andern Tage die Stubentür von oben bis unten mit bunten Federn und Blumen, und als des Abends der alte Mann nach Hause kam und nach der Ursache fragte, antwortete sie ihm: »Ach Vater, ich kann dir ja den ganzen Tag nichts zu Liebe tun, so wollte ich doch deinem Herzen eine Freude machen!« Aber der alte Mann antwortete wieder: »Mein Herz sitzt lange nicht in der Stubentür, das ist ganz anderswo.« Da ging es nun ebenso wie am vorigen Tage; sie weinte, jammerte und sprach: »Vater, du hast doch ein Herz und kannst doch sterben. Du willst mich nur täuschen!« Da antwortete der alte Mann: »Sterben kann ich nicht, aber weil du es durchaus wissen willst, wo mein Herz ist, will ich es dir sagen, damit du dich endlich beruhigst. Weit, weit von hier, in einer ganz unbekannten, einsamen Gegend liegt eine große Kirche, die Kirche ist mit dicken eisernen Türen wohl verwahrt, um die Kirche fließt ein großer tiefer Burggraben, in der Kirche fliegt ein Vogel, in dem Vogel ist mein Herz, und solange dieser Vogel lebt, lebe ich auch. Von selbst stirbt er nicht und niemand kann ihn fangen; daher kann ich nicht sterben und du kannst ohne Sorge sein.«
    Unterdes hatte der jüngste Bruder zu Hause gewartet und gewartet; aber da seine Brüder gar nicht wiederkamen, vermutete er, ein Unfall möchte ihnen begegnet sein. Daher machte er sich endlich selbst auf den Weg, um sie aufzusuchen. Nun war er schon einige Tage gegangen, da kam er auch in den Wald, in den auch seine Brüder gekommen waren, und gelangte zu dem Hause des alten Mannes. Er traf ihn nicht zu Hause, aber das junge Mädchen, seine Braut, empfing ihn. Er erzählte ihr, dass er sechs Brüder gehabt, die seien ausgezogen, sich Bräute zu holen, aber ihnen müsste ein Unglück zugestoßen sein, weil sie noch immer nicht zurückgekommen wären. Darum sei er selber ausgereist, um sie aufzusuchen. Da erkannte das Mädchen in ihm ihren Bräutigam und sagte ihm,

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