Der große deutsche Märchenschatz
danach schlief er ganz ruhig bis zum Morgen.
Am Morgen stand er auf, zog sich hübsch an, aà dann auch gehörig Frühstück mit seinem Kameraden und ging nach dem Schlosse. Nun wurde er zu der Prinzessin geführt, sie erwartete ihn in einem schönen Zimmer und sah recht betrübt aus, war aber ein ganz allerliebstes Mädchen, dem man gar nicht zutraute, dass sie einen Menschen umbringen könnte. Ihr Auge war so sanft und gut, sie selbst gar nicht groà und stark, dabei so fein und so zierlich gebaut, dass man nicht glauben konnte, dass sie jemanden schon gemordet hätte, und doch waren schon neun junge Mannsleute durch sie umgebracht. Als Dieter hereintrat in ihre Stube, stand sie gleich auf und kam auf ihn zu und sagte in einem freundlichen Tone: »Also du willst mich erretten. Aber weiÃt du auch, dass es dein Leben kostet, wenn du mein Rätsel nicht errätst?« â »Ja«, sagte er, »ich will es versuchen, muss ich dann sterben, so will ich gern für dich sterben. Denn du bist so schön, so gut und so lieb, dass ich gerne für dich den Tod leide. Sag mir also dein Rätsel.« â »Also sollâs sein«, antwortete sie ganz traurig, und die Tränen traten ihr in die Augen. Sie kam näher und sagte: »Du dauerst mich. Höre: Sag mir, woran ich jetzt denke.« â »Das ist nicht schwer zu sagen«, antwortete Dieter. »»Prinzessin, Ihr denkt jetzt an Eures Vaters weiÃes Pferd.« Die Prinzessin wurde leichenblass und sagte: »Du hast es erraten. Das Schicksal möge mir ferner hold sein. Komm morgen wieder. Es soll mich freuen, wenn du mich errettest; königlich sollst du belohnt werden.« Dieter verbeugte sich und ging.
Der Tag ging auch ganz angenehm hin und am Abend gingâs ebenso, nur dass Dieter diesmal zwei eiserne Ruten, in jede Hand eine, bekam, womit er die arme Prinzessin prügeln musste. Auch mit der Prinzessin ging alles so, doch als sie wieder an den Berg kamen und in den Saal hineintraten, da war der Raum erleuchtet wie am Abend zuvor, und in der Mitte war der Mond, der alles hell machte, und auf der Truhe lag ein stachliger groÃer Fisch. Am Abend vorher standen bloà einige helle Sterne an der Decke, und die Truhe war leer. Als die Prinzessin wieder hintrat und hinter ihr Dieter sich hineingeschlichen hatte, schloss sich die Tür, die Prinzessin ging auf den Berggeist zu, der auf einer Art Thron saÃ, und sagte: »Hoher Geist, unser erstes Rätsel hat der Mann erraten. Was sagst du dazu?« â »Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Eine geheime Macht waltet hier, die mir und dir zuwider ist. Diesmal soll erâs nicht erraten. Diesmal sollst du an deines Vaters Schlachtschwert denken.« â »Gut«, sagte die Prinzessin, »der Flug hat wieder viel Blut gekostet, denn sieh, es hagelte diese Nacht schlimmer noch als die vorige, sieh, wie ich blute. Aber wenn er das Rätsel nicht errät, so soll er durch das Schlachtschwert meines Vaters sterben, darauf verlass dich.« â»Tu das, meine Tochter, nun geh und mache deine Sache gut, sag aber keinem das Rätsel.« Nun ging sie fort und Dieter dahinter her; auf dem Wege bekam sie wieder ihre Schläge, bis sie zum Fenster hinein war. Unser Dieter flog nach Haus, tat seine Fittiche ab und legte sich zu Bette. Am andern Morgen ging er wieder zur Prinzessin, und sie empfing ihn wieder ebenso wie am vorigen Tage. Diesmal lag aber schon das Schlachtschwert auf ihrem Tische und hatte noch einige Blutflecke. Als er hereintrat, fragte sie gleich: »An was denke ich?« â »An das Schlachtschwert eures Vaters, liebe Prinzessin.« Da sank sie zurück auf ihren Sessel und stammelte: »Erraten! Morgen komm wieder. Das Schicksal möge es fügen, dass ich glücklich werde und du auch.« Damit ging Dieter wieder weg und brachte seinem Kameraden Nachricht, dass er das zweite Rätsel auch erraten habe. Beide machen sich den Tag zu gut, bis es wieder Abend ist, essen dann zusammen, und der Kamerad von Dieter sagt, wie es gegen zehn hinkommt: »Diese Nacht hast du noch ein schweres Stück zu machen. Diesmal bekommst du zwei eiserne Ruten, mit denen du die Prinzessin prügeln musst, und ein scharfes zweischneidiges Schwert, mit dem du dem Berggeist den Kopf abhaust. Nimm dich aber in acht, wenn du in seinen Saal kommst, dass er dich nicht sieht, denn es wird diesmal so hell darin sein wie am Tage,
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