Der große deutsche Märchenschatz
wohl helfen. Was sollte der König tun. Er musste zulassen, dass sie geschlachtet wurden. Die Herzen briet man und brachte sie der Königin. Die Gedärme aber wurden in den Fluss geworfen. Zwei Stücke nun wurden weithin vom Wasser fortgeführt und endlich ans Ufer ausgeworfen. Hier wurden daraus wieder die zwei Kinder mit den goldnen Haaren und waren gleich so groÃ, als wären sie seit ihrer Geburt immer gewachsen. Nur blieben sie nackt, denn noch keine Mutter hatte ihnen ja ein Hemdchen angelegt. Sie waren aber so lieblich und schön, dass die Sonne auf ihrem Tagesgange stehen blieb, sich nicht sattsehen konnte und sieben Tage lang nicht unterging.
Da es nun so lange nicht Nacht werden wollte, so wunderte sich darob unser Herrgott und dachte: »Das hast du doch nicht also geordnet!« Er kam daher zur Sonne und fragte sie, warum sie so lange am Himmel verweile und nicht untergehe. Da zeigte sie ihm unten auf der Erde die beiden schönen Kinder, wie sie an dem Flusse spielten. Unser Herrgott war entzückt und gerührt bei dem Anblick der Kleinen, welche so mutterseelenallein und nackt waren, und sprach: »Ich will mich ihrer annehmen.« Da stieg er auf die Erde als ein alter guter Mann, und die Kinder liefen, sobald sie ihn sahen, gleich zu ihm und waren froh. Da gab er jedem ein Hemdchen und ein goldnes Hämmerchen und sprach: »Gehet nur immer auf der StraÃe fort, da werdet ihr in die groÃe Stadt kommen. Klopfet an die Türen an, und wo man euch aufmacht, da tretet ein. Wenn nun ein freundlicher Mann euch fragt, wer ihr seid, so erzählt ihm dieses Märchen.«
Nun erzählte ihnen unser Herrgott ihre ganze Lebensgeschichte, entfernte sich dann und stieg wieder in seinen Himmel hinauf. Die Kleinen aber wandelten fort und kamen endlich in die groÃe Stadt. Sie klopften an viele Türen, aber keine wurden ihnen aufgetan. Zuletzt kamen sie auch an den Palast des Königs. Sowie sie hier anklopften, öffneten sich gleich von selbst die groÃen Flügeltüren. Sie traten ein, und es saà der König gerade in tiefem Nachdenken und härmte sich, dass er keine Kinder hatte. Indem fiel sein Blick auf die kleinen, himmlisch schönen Kinder mit den goldnen Haaren. »Kommt her«, rief er, »was für ein Engel hat euch zu mir gesandt? Erzählt es mir!« Die Kleinen gingen hin, setzten sich ihm vertraulich auf die beiden Knie und liebkosten ihn. Der Knabe fing darauf an zu erzählen, wie ihn unser Herrgott gelehrt hatte, und wenn er etwas auslieà oder nicht gut erzählte, verbesserte ihn sein Schwesterchen.
»Gott, o Gott!«, seufzte der König, als die Erzählung zu Ende war, und in dem Augenblicke trat auch die Königin ein. Als sie die Kinder erblickte, erfasste sie ein grausiges Entsetzen. Sie kehrte um, schlug die Türe hinter sich zu und lief wie wahnsinnig fort. Die Kinder aber saÃen dem König auf dem SchoÃe ruhig und voller Unschuld und wussten nicht, warum er so schwer geseufzt und die Frau so entsetzlich sie angesehen hatte.
Endlich sagte er: »O ihr meine lieben Kinder, das ist kein Märchen, das euch der alte Mann erzählt hat, sondern eure und meine wahrhaftige Geschichte. Der alte gute Mann aber ist der liebe Gott, der alles so wunderbar geleitet und nun offenbart hat. Wehe, wehe der bösen Königin!« Damit ging er hinaus und gab Befehl, dass man sein Weib sogleich lebendig begraben solle. Aber man konnte sie lange nicht finden. Endlich traf man sie am Ufer des Flusses, wie sie sich die Haare zerraufte. Sie hatte sich erhängen wollen, allein der Strick war zerrissen, darauf hatte sie sich ins Wasser gestürzt, allein der Fluss hatte sie wieder herausgeworfen. Nun wurde sie ergriffen und lebendig verscharrt. Die Erde behielt sie nun und bedeckte ihre groÃe Sünde mit.
Der König aber schickte nun sogleich in das Land der sieben Zwerge um Wasser des Lebens, lieà seine echte Gemahlin ausgraben und machte sie lebendig. Beide lebten nun froh und vergnügt und hatten groÃe Freude an ihren Kindern. Der Knabe wurde ein stattlicher Jüngling und Nachfolger im Reiche seines Vaters, das Mädchen eine wunderschöne Prinzessin. Ach, die war so schön, so schön, dass es nicht zu beschreiben ist. Ich will nur dieses sagen: Wenn sie ausging, neigten sich alle Blumen vor ihr demütig, und alle jungen Kaiser und Könige warben um ihre Hand. Da sie aber gelobt hatte, nur den
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